Die Grünen als Schröders Korrektiv

Im niedersächsischen Wahlkampf wird die Spitzenkandidatin der Grünen, Rebecca Harms, nicht müde, auf die Erfolge der früheren rot-grünen Regierung hinzuweisen. Nur ihre Partei könne die SPD und Schröder bändigen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Gleich fünf Grünen-Kandidatinnen sitzen da nebeneinander auf dem großen roten Sofa in der Hildesheimer Kulturfabrik, und ein Mann – allerdings ein für drei Kinder verantwortlicher Hausmann – darf sie befragen. Die Hauptperson des Wahlkampfabends, die Grünen-Spitzenkandidatin Rebecca Harms, ist dennoch nicht ganz zufrieden mit den Themen, die ihr nicht nur hier in dem umgebauten Fabrikgebäude hinter dem Hildesheimer Bahnhof vorgegeben werden. Wie so oft in diesen Wahlkampfwochen vor dem 1. März muß sie erst mal über das Emssperrwerk reden, über jenes 500 Millionen Mark teure Bauwerk in der Ems, mit dem Gerhard Schröder künftig den Großschiffen der Papenburger Meyer-Werft den Weg aus dem Binnenland zum Meer bahnen will.

„Ein Kompromiß beim Emssperrwerk kann es für eine rot- grüne Landesregierung nicht geben, nur ein Ja oder ein Nein“, stellt die dunkelhaarige, 41jährige Filmemacherin zunächst klar. Eine wunderbare Werft, „die nur am falschen Platz liegt“, sei die Meyer- Werft. „Seit zehn Jahren wollen wir Grüne sie ans seeschifftiefe Wasser verlagern.“ Das nun geplante Sperrwerk sei ökonomisch unsinnig und habe schlimme ökologische Folgen für die ohnehin arg strapazierte Ems. Ganz die Spitzenkandidatin, gibt die langjährige Kämpferin gegen die wendländischen Atomanlagen anschließend die Beschlußlage ihrer Partei wieder: „Wir werden in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD gegen das Emssperrwerk genauso kämpfen wie für den Ausstieg aus der Atomkraft, wie für eine Ausbildungsplatzabgabe oder ein Bündnis für Arbeit auf Landesebene.“

Hier in Hildesheim vor den gut 150 meist noch recht jungen Anhängern der Grünen reicht diese Antwort für einen kleinen Applaus. Doch bei den Grünen-Kreisverbänden vor Ort in Emden ist in den letzten Wochen Unmut aufgekommen gegen jene Landesparteitagsbeschlüsse, nach denen die Grünen in Verhandlungen mit der SPD gleichberechtigt um viele Positionen kämpfen, möglichst viel Grün gegen Rot durchsetzen wollen. Mit dem gezielt gestreuten Gerücht, die Landtagsgrünen in Hannover hätten Schröder bereits Kompromißbereitschaft beim Sperrwerk signalisiert, werden da selbst noch im heißen Wahlkampf innerparteilich Rivalitäten gepflegt.

Diese innergrünen Querelen, die natürlich die Journalisten zuallererst interessieren, kann man auch als ein Symptom für die kleinen Schwierigkeiten nehmen, in die die niedersächsischen Grünen vor dieser Landtagswahl mit ihrer eminent bundespolitischen Bedeutung plötzlich noch hineingerutscht sind. Richtig blendend sah die Ausgangslage für die Grünen zunächst aus. Schließlich hat Gerhard Schröder die absolute Landtagsmehrheit, die er 1994 mit nur 44,3 Prozent der Wählerstimmen erzielte, nur den Erfolgen der rot- grünen Koalition zu verdanken, die von 1990 bis 1994 Niedersachsen regierte. Auf die Erfolge dieser Koalition, die Schröder dann größtenteils wieder zunichte gemacht habe, kann Rebecca Harms in ihren Wahlkampfreden setzen.

„Rot-Grün hat seinerzeit den Bau so vieler Wohnungen gefördert, daß erstmals seit Jahren die Mieten in Niedersachsen wieder sanken“, lautet etwa eines ihre Argumente für eine Neuauflage des Bündnisses. Und damals in den Jahren 1990 bis 1994 habe Niedersachsen auch „den größten Zuwachs an Arbeitsplätzen von allen Bundesländern“ gehabt. Damals seien die Berufsverbote abgeschafft, die Lernmittelfreiheit und das Recht auf einen Kindergartenplatz eingeführt und zusätzliche Lehrer eingestellt worden.

„Damit Gerhard Schröder gut sein kann, braucht er die Grünen“, lautet das Fazit dieses Rückblicks auf die letzten acht Jahre niedersächsischer Landespolitik. Schließlich habe der SPD-Politiker, als dann das grüne Korrektiv nicht mehr da war, „Lehrer als faule Säcke beschimpft“, „Ausländer als Kriminelle abgestempelt“ und auch den Großen Lauschangriff maßgeblich mit durchgesetzt. Am vergangenen Freitag hat Rebecca Harms in Hannover noch ein neues Wahlplakat der Grünen präsentiert, mit dem der niedersächsische Landesverband in der heißen Phase vor der Wahl noch mal 10.000fach nachlegen will. Grün auf blauem Grund zeigt es jenes stilisierte „ü“ für gr„ü“n, das auch im Bundestagswahlkampf in der ganzen Republik das Markenzeichen der Partei werden soll. „King Schröder? – Kong Grüne!“ lautet die Parole, mit der der Landesverband auf dem Plakat noch einmal auf jenes Korrektiv hinweist, das der SPD-Politiker so dringend braucht. Den Meinungsumfragen zufolge sehen das viele Niedersachsen ähnlich. Immerhin 30 Prozent der Wähler favorisieren eine Neuauflage von Rot-Grün im Lande. Über 10.000 Bahnkilometer hat die Grünen-Spitzenkandidatin bisher im niedersächsischen Landtagswahlkampf zurückgelegt, über hundert Wahlkampfveranstaltungen hat sie in den letzten sechs Wochen absolviert.

Dem Landtagswahlkampf im allgemeinen stellt Harms denkbar schlechte Noten aus. „Diese ganze Gockelei zwischen Schröder und Lafontaine um die SPD-Kanzlerkandidatur überlagert alles“, sagt sie. „Wegen dieser Gockelei gibt es keinen öffentlichen Streit um Inhalte, um die richtige Landespolitik.“ Harms kritisiert nicht nur die personalisierende Wahlkampfberichterstattung der Medien, sie vermißt vor allem öffentliche Diskussionen, in denen niedersächsische Spitzenpolitiker „um Inhalte, eben um die richtige Politik streiten“. Nur ein dutzendmal und nur auf lokaler Ebene durfte sie in solchen Streitgesprächen ihre Frau stehen. Im Fernsehen etwa wird es diesmal vor der Wahl nur eine Kandidatenrunde geben, und zu der hat der NDR nur Gerhard Schröder und Christian Wulff eingeladen, mit der gleichermaßen telegenen wie energischen Rebecca Harms wollten die beiden Männer von SPD und CDU nicht vor der Kamera streiten. In den Augen der 41jährigen haben Wulff und Schröder „einfach vor einer Diskussion gekniffen“.

Rebecca Harms kneift nicht – zumindest nicht in Hildesheim vor dem jungen Publikum. „Wie im Leben geht es auch in der Politik nicht ohne Kompromisse, aber man darf dabei nicht lügen“, sagt sie als eine der fünf grünen Frauen auf dem roten Sofa, als es um die künftige Atompolitik einer rot-grünen Landesregierung geht. Bei einer Regierungsbeteiligung werde es keine Einsätze von 30.000 Polizisten mehr zum Schutz eines Castor-Transportes nach Gorleben geben, das verspricht sie. Für den Ausstieg aus der Atomkraft brauche es aber nicht nur Rot- Grün in Hannover, sondern „auch in Bonn“.