Wann sollen Mädchen auf den Stuhl?

■ FrauenärztInnen streiten darüber, ob sie für Mädchen im Teenie-Alter eine gynäkologische Reihenuntersuchung fordern sollen

Berlin (taz) – Kaum ist hierzulande ein Kind geboren, wird es auf seine Gesundheit hin untersucht. „U1“ nennt sich dieser erste Check. Bis zum 5. Geburtstag hat ein Kind in Deutschland neun solcher Vorsorgeuntersuchungen bei der KinderärztIn erlebt – das Betrachten der Genitalien inbegriffen. Streit gibt es jetzt um die 10. Untersuchung („U 10“), die für 10- bis 16jährigen eingeführt wurde. Etliche GynäkologInnen wollen diesen Check nicht mehr den KinderärztInnen allein überlassen, sondern alle Mädchen zwischen 10 und 16 selbst untersuchen – auf dem gynäkologischen Stuhl.

Die Bremer Frauenärztin Mura Kastendieck warnt in Vorträgen vor den Motiven der eigenen Zunft: „Man muß wissen, daß in Deutschland pro Kopf der Bevölkerung die meisten Gynäkologen der Welt sind. Wir sind in der Verlockung, ja darauf angewiesen, für unseren Patientinnen-Nachwuchs zu sorgen“.

Am Samstag debattierten im Berliner Universitätskrankenhaus Charité Kinder- und Jugendgynäkologen den umstrittenen „Erstbesuch beim Frauenarzt“. Der Präsident der deutschen Kinderärzte, Klaus Gritz, gab die Richtung vor: „Ich versuche, den Mädchen den Weg zum Frauenarzt zu bahnen und frage alle, selbst wenn sie noch keine Monatsblutung hatten: ,Warst du schon beim Frauenarzt?‘“ Eine Hamburger Frauenärztin wandte sich gegen diese Position: „Nach was soll ich denn als Gynäkologin bei einem Mädchen suchen, wenn es symptomlos ist?“

Widerspruch kam auch von Claudia Czerwinski vom bundesweiten Arbeitskreis Frauengesundheit: „Ein Mädchen sollte nur dann in eine gynäkologische Praxis gehen, wenn es ein Problem hat. Ansonsten vermitteln wir den Mädchen doch nur: Es gibt bei dir einen Kontrollbedarf.“ Ähnlich argumentierte die Gynäkologin Isolde Wachter: „Auch auf generelle Ultraschalluntersuchungen sollte verzichtet werden, sonst werden nur Zysten entdeckt, die in dieser Altersgruppe nicht weiter schlimm sind.“ Eine Ärztin aus dem Publikum merkte an, viele Mädchen seien verunsichert und wollten sich bestätigen lassen, „ob alles in Ordnung ist“.

Aus dem Publikum kamen Tips, Mädchen im Körpergefühl zu bestärken: Sie per Spiegel mit dem eigenen Unterkörper vertraut zu machen oder sie zu animieren, das Innere der Scheide selbst zu fühlen. Vorschläge, die Geschlechtsorgane der pubertierenden Mädchen wenigstens von außen generell gynäkologisch in Augenschein zu nehmen, wurden ebenfalls abgewiesen. Eine Ärztin: „Wenn die Kinderärzte ihre Arbeit von Geburt der Kinder an gut gemacht haben, ist eine generelle Genital-Inspektion durch Gynäkologen überflüssig.“ Eine andere Ärztin aus dem Publikum monierte, daß junge Männer in bezug auf Verhütung und körperliche Verunsicherung gar nicht im Blick seien: „Die Jungs brauchen jemanden, der ihnen sagt: ,Deiner ist groß genug. Und ein Junger kann es oft besser als ein Alter.‘“

Im Anschluß an das Symposium wollen die OrganisatorInnen ein Konsenspapier erarbeiten, das die weitere Richtung festlegen soll. Heinrich Hundt, Vorsitzender der Berliner Kinderärzte, sah keinen Handlungsbedarf, sagte er gegenüber der taz. Gynäkologische Fehlbildungen bei Jugendlichen seien eine „Rarität“. Zudem „kommen dann bald die Orthopäden und sagen, sie müßten auch die Jugendlichen anschauen“. Barbara Debus