Kommentar
: Irreführung

■ Kofi Annans Reise nach Bagdad entscheidet nicht über Krieg oder Frieden

„Schicksalsreise“ – „Letzte Chance für eine diplomatische Lösung“ – „Über Krieg und Frieden am Golf entscheiden jetzt nur noch die Vermittlungskünste Kofi Annans“.

Die Schlagzeilen und Kommentierungen der Gespräche des UNO-Generalsekretärs in Bagdad in vielen Medien führen in die Irre. Und ein hochkomplexer Konflikt, bei dem viele bekannte, aber auch einige längst nicht voll ausgeleuchtete Interessen einer Reihe von Staaten eine Rolle spielen, wird auf das Handeln einer Person reduziert. Ist es Fahrlässigkeit oder bewußte Inszenierung?

Durch diese Personalisierung werden der Generalsekretär und mit ihm die Institution der UNO mit verantwortlich gemacht für einen eventuellen Militärschlag gegen Irak und dessen absehbar verheerende humanitäre und politische Folgen. Auf diese Weise wird davon abgelenkt, daß die Entscheidung über Krieg und Frieden am Golf allein in Washington gefällt wird.

Und der Eindruck der Zwangsläufigkeit eines neuen Krieges wird für alle drei denkbaren Szenarien, die sich heute oder in den nächsten Tagen ergeben werden, geschürt. Erste Variante: Generalsekretär Kofi Annan verläßt Bagdad mit leeren Händen und kann dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York keinerlei Zusagen Saddam Husseins vorlegen. Zweite: Die irakische Führung in Bagdad hat Kofi Annan Zusagen gegeben, relativiert oder dementiert diese aber wieder, sobald der Generalsekretär sie öffentlich macht beziehungsweise dem Sicherheitsrat vorlegt. Die dritte Möglichkeit: Der Sicherheitsrat oder zumindest einige seiner Mitglieder halten die Zusagen, die der Irak abgibt, nicht für ausreichend.

Keines dieser drei Szenarien begründet jedoch einen Automatismus hin zum Krieg. In allen drei Fällen hätte die Clinton-Administration weiterhin den vollen Handlungsspielraum, sich für oder gegen Militäraktionen gegenüber Irak zu entscheiden. Die jüngsten Äußerungen Präsident Bill Clintons, seiner Kabinettsmitglieder und führender Militärs sowie die massiven Kriegsvorbereitungen der USA, die auch während der Gespräche des UNO-Generalsekretärs Annan in Bagdad auf vollen Touren weiterliefen, bestärken allerdings den Eindruck, daß in Washington längst die Würfel für einen Krieg gefallen sind. Und zwar völlig unabhängig von den Ergebnissen der Annan-Reise nach Bagdad. Andreas Zumach