Eklige Küsse vorm Gruseln

Hamburger Jugendbuchautoren ziehen seit Jahresbeginn mit einer „Lesenacht“erfolgreich durch die Schulen in und um Hamburg  ■ Von Ilonka Boltze

„Also folgendes: Julia hat es erwischt – sie ist heftig verknallt in Florian. Der findet Julia auch klasse – bloß küssen, das mag er nicht, und Julia küßt ziemlich feucht.“

Das Echo kommt prompt: „Bääh, würg, uuh“– so geht es durch die Runde, wenn der Hamburger Jugendbuchautor Uli Schubert mit Kindern über erste Annäherungen spricht. Küssen – das ist schon ziemlich eklig, ist die einhellige Meinung der 10- bis 12jährigen, die Schuberts Erzählungen aus seinem Buch „Räuber und Gen-darm“lauschen. Nicht in der Deutschstunde, auf der Bühne oder vor dem Fernseher, sondern nachts in ihrem Klassenzimmer.

Gemeinsam mit 11 Hamburger JugendbuchautorInnen und -illustratorInnen hat Schubert einen „Lesenachtverein“gegründet, der seit Beginn diesen Jahres einmal im Monat in Hamburger Schulen gastiert. Ein Abend ohne Lehrbücher versteht sich, denn die Lesenacht soll vor allem Spaß machen. „Wir wollen zeigen, daß ein Autor keine abstrakte Größe ist“, meint der 34jährige Schriftsteller Mario Giordano, der auch Drehbücher für die „Urmel aus dem Eis“-Serie schreibt. „Außerdem wollen wir uns natürlich auch der harten Kritik unseres jungen Publikums stellen. Laute Zwischenrufe, kritische Fragen sowie gestenreiches Gähnen und Dösen sind eine ernstzunehmende Zensur.“

Und während Uli Schubert in seiner Lesung zu Julias ersten großen feuchten Wangenschmatzern vordringt, zeigt die Grafikdesignerin Karin Engelking im Nachbarraum, wie ein Bucheinband entsteht. Sie ist eine von sechs Kinderbuch-IllustratorInnen, die bei der Lesenacht dabei sind. „Wir wollen auch einmal den Kindern zeigen, wo die Bilder im Buch herkommen und geben Mal- und Basteltips“, erklärt die 25jährige. So zeigt sie beispielsweise, wie man mit Rot, Gelb und Weiß Hautfarbe mischen kann.

Die 11jährige Florel hat die Tricks jetzt drauf. Bei der vergangenen Lesenacht in der Eimsbüttler Jahnschule entstand ihr Bucheinband für „King Kong das Liebesschwein“. Müde geworden ist sie dabei nicht: Die ganze Nacht Geschichten hören und malen ist viel besser als Schlafen“, urteilte die Fünftkläßlerin.

Heute abend ist es wieder soweit, dann steigt die Lesenacht für die Fünft- und Sechstkläßler der Gesamtschule Barsbüttel. Während die Gäste vom Lesenachtverein Bücher, Papier und Stifte auspacken, rücken die GesamtschülerInnen mit Stofftier und Schlafsack an, denn geschlafen wird in der Schule.

Lesenächte sind nämlich lange Nächte. Erst nachts um zehn ist „Halbzeit“, und um Mitternacht, wenn alle in ihre Schlafsäcke kriechen, wird es noch einmal unheimlich. Das Licht wird in allen Klassen ausgeknipst, und über den Schullautsprecher gibt es eine Grusel-Gute-Nacht-Geschichte.

Geht es nach den Mitgliedern des „Lesenachtvereins“, dann sind die Stippvisiten in den Schulen erst ein Anfang der Lesenächte. „Wenn wir genug Sponsoren finden, dann wird es bald auch Gruselnächte in Kirchen, auf Kampnagel, in Theaterfoyers oder in Schwimmhallen geben.“Bis dahin allerdings zählt nur der Idealismus, denn bisher verdienen die jungen AutorInnen und Illustratoren an ihren „Lesenächten“nichts. Für Mario Giordano ist das nicht ausschlaggebend: „Mit Computer und Fernsehen als Freizeitkonkurrenten haben Bücher einen harte Stand und viele enden als Staubfänger. Wenn wir die Lust aufs Buch wecken, dann sind wir schon fast am Ziel.“

Interessenten können sich bei Andreas Schlüter melden unter