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■ Normalzeit„Hallo, Dienstleistungsproletariat!“

So beginnt das Editorial der vierten Ausgabe der Zeitschrift hilfe – aus München und Berlin. Die autonomen Autorinnen sind zu solch ernsthafter Erkenntnisarbeit fähig, wohingegen ihre „Brothers in Crime“ – von der FU-Zeitschrift Kalaschnikov – bloß all die alten Autoritäten noch einmal an den Abzug gelassen haben. Während diesen nur müdes Theoriegeschwätz einfiel, haben die jungen hilfe-Leute fleißig neue Felder und Fakten aufgetan: über den Streik beim United Parcel Service, das Elend der asiatischen Sportswear-Näherinnen und die lateinamerikanischen Freihandelszonen. „Ausgebeutet zu werden ist hier mittlerweile ein Privileg“, wird dazu Professor Ibarra aus El Salvador zitiert. Darüber hinaus wird über Filme und Kunststücke, die sich mit dem „arbeitenden Menschen“ bzw. mit der „Arbeiterbewegung“ befassen, berichtet. Zusätzlich haben die Herausgeber noch einen wandernden hilfe-Salon in München und Wien auf die Beine gestellt. Diese autonome hilfe-Szene ist ebenso umtriebig wie vernetzungswütend. Ich erwähnte bereits die 16. Ausgabe des quasi dazugehörigen Videomagazins ak kraak, das den Besuch bei Aktionsgruppen in Ostdeutschland und Westeuropa zum Inhalt hat. Dazu gehört auch noch die aus dem famosen „Friseur in der Botschaft“ hervorgegangene „dog-film“-Gruppe, die sich mit der Videoproduktion „a-clips“ an einer konzertierten Aktion gegen die Vertreibung des Subproletariats von öffentlichen Plätzen beteiligte. Ferner der Buchladen „b-books“ in der Falckensteinstraße, in dem es nicht nur die Zeitschrift ANYP sowie Autonomen-Messe-Papiere gibt, sondern auch Diskussionen – die letzte fand am 26. Januar statt: über Althussers „ideologische Staatsapparate“.

Auch die hilfe-Leistenden halten also noch Verbindung zur Tradition, weswegen sie auch gerne Arno Klönne (zu den Gewerkschaften), Toni Negri (zum Kommunismus) und Diedrich Diederichsen (zur Verallgemeinerung ihrer Bewegung) konsultieren. Um ihnen restlos zu glauben, sind sie sich jedoch inzwischen gottlob alle zu alltagssicher (im Gegensatz zu den FU-Philosophen, die sich mit überflüssiger Ironie erheben). Die Merve-Macher hatten wohl recht, als sie vor allem auf die Kunst setzten, ihren zunehmenden „Erfolg“ an den Unis dagegen nur mißmutig kommentierten: Da kommt nichts bei raus – außer Jargon kreierende Magisterarbeiten!

Ja, die Kunst: aus der in 55 Städten gleichzeitig organisierten Innenstadtaktion resultiert demnächst eine Ausstellung in der Kreuzberger NGBK. Vom Subjekt zum Projekt – so könnte man mit Vilem Flusser diesen Gang der Dinge nennen, denn dabei stellt sich dem autonomen Kunst- Netz, dem es eigentlich nicht mehr um handelsfähige Objekte und Kunstmärkte geht, wieder das alte „Visualisierungsproblem“. Eher in umgekehrte Richtung – nämlich weg von allem Planwerk-Masterplan-Architekturkunst-Mist-in-Mitte – bewegt sich nun die Mitnehm-Zeitschrift Scheinschlag, indem sie das genuin korsische „Manifest der glücklichen Arbeitslosen“ debattiert.

In ganz andere Richtung geht dagegen die neue Volksbühnen- Schau von Kuttner und Meier „Von Mainz bis an die Memel“ ab: So, wie man einst den Bauern als Arbeiter für die Industrie zurichtete, mußte auch der Fernsehzuschauer dem neuen Medium angepaßt werden. Diese These illustriert Meier mit TV-Schnipseln aus Ost und West, und Kuttner hält dazu eine Vorlesung. Der aus der Humboldt-Uni herausgedrängte Kulturwissenschaftler rächt sich damit aufs schönste an seiner Alma Mater – und die außeruniversitären Hörer danken es ihm: Ungefähr die Hälfte, fast 1.000 Leute, mußte am 15. Januar wegen Überfüllung auf das nächste Mal vertröstet werden. Mit dieser Fernsehen-im-Theater- Lesung wurde etwas ganz Neues abgetäuft! Schon das Wiedersehen mit alten TV-Promis macht große Freude: Lea Rosh zum Beispiel – die 1962 eine Westberliner Dumpf-Modenschau bereits genauso engagiert moderierte wie jetzt die Holocaust-Denkmal- Debatten: Auch eine – freilich noch avantgardistisch-überbezahlte – „Dienstleistungsproletarierin“. Die modernen Praktikantinnen machen so etwas heute fast umsonst – um einen Fuß in das „System“ zu bekommen. Helmut Höge

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