Moskau liegt in Friedrichshain

■ In Friedrichshain sind ehemalige SED-Mitglieder und PDS-Reformer aneinandergeraten. Im Mittelpunkt des Streits: Baustadträtin Albinus-Kloss und ihr Kritiker Andreas Fichtner. PDS fürchtet Auswirkungen auf Bu

Vergeblich hatte PDS-Landeschefin Petra Pau zur Ordnung gemahnt, dazu, den seit einigen Wochen offen ausgetragenen Kampf in der Friedrichshainer BVV- Fraktion zu beenden. Die „demokratischen Sozialisten“ wollten nicht hören. Statt dessen hauen sie um so heftiger aufeinander ein: Ende vergangener Woche ging es in die nächste Runde.

Teile der Fraktion, die in Friedrichshain geradezu bedingungslos hinter der für die PDS agierenden Baustadträtin Martina Albinus- Kloss stehen, beschieden ihrem parteilosen Mitstreiter Andreas Fichtner per Presseerklärung, daß seine Tätigkeit lediglich von „Destruktivität und allseitiger Konfrontation“ gekennzeichnet gewesen sei.

Bereits zu Wochenbeginn hatten sie den ehemaligen Hausbesetzer, der erst 1996 in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) nachgerückt war, aus der Fraktion geworfen und von seiner Tätigkeit in den Ausschüssen entbunden, ihm seinen „überheblichen, arroganten und rechthaberischen Charakter“ vorgeworfen. Fichtner, hieß es zur Begründung, habe zum Untersuchungsbericht, der die Umstände des illegalen Hausabrisses in der Rigaer Straße 27 aus dem Jahr 1996 erhellen sollte, ein Minderheitsvotum abgegeben, welches „darin gipfelt, die Tätigkeit der Baustadträtin als staatszersetzend und demokratiefeindlich zu diffamieren“.

Nicht die Baustadträtin, sondern „die schlampige Aktenführung“ der Bauabteilung müsse als „staatszersetzend und demokratiefeindlich“ eingestuft werden, hatte der Jurastudent tatsächlich geschrieben. „Das ist mehr als eine linguistische Spitzfindigkeit.“ Die PDS in Friedrichshain, kritisiert Fichtner, gebärde sich zunehmend wie eine „Kaderpartei Moskauer Prägung“.

Statt ihren Pflichten als Bezirksverordnete nachzukommen, wozu nach seiner Auffassung auch gehört, die Behörde zu kontrollieren und notfalls zu kritisieren, habe sich ein Teil der Fraktion zu einem „Kanzlerwahlverein für Martina Albinus-Kloss“ zurückentwickelt. Was die alten Genossen „der Stadträtin den Rücken stärken“ nennen, ist für den Parteilosen „ein mangelndes Gefühl für Gewaltenteilung“, das die Sicht auf die dem eigenen Wahlprogramm zuwiderlaufenden Entscheidungen der investorenfreundlichen Baustadträtin vernebele. Vielen Mitgliedern der Fraktion wirft Andreas Fichtner ein grundlegendes Demokratiedefizit vor.

So erntete er statt Unterstützung Unverständnis, als er sich weigerte, den Plänen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Projekts Pufendorfstraße, die ein weiterer PDS-Stadtrat, der für Bildung zuständige Dieter Hildebrandt, kurz vor Weihnachten letzten Jahres abgesegnet wissen wollte, diskussionslos zuzustimmen.

Probleme haben die Genossen auch damit, daß Fichtner weiter auf seinem Platz als Vorsitzender im Geschäftsordnungsausschuß beharrt. „Als Ausschußvorsitzender wird man jedoch von der BVV gewählt und muß auch durch sie abgewählt werden“, versucht er seiner Fraktion die Spielregeln der Demokratie begreiflich zu machen. Bislang vergeblich.

Die personalisierte Debatte verstellt zunehmend den Blick dafür, daß Auseinandersetzungen innerhalb der Friedrichshainer PDS so neu gar nicht sind.

Bereits in den vergangenen Jahren hatten zwei junge Fraktionsmitglieder, Claudia Nawrot und Birgit Marohn, die PDS-Reihen verlassen. Steffen Zobel, ehemaliger Bezirksverordneter der demokratischen Sozialisten, der bereits im März 1994 ausgetreten war, seine Wahlfunktion jedoch noch bis zum Ende der Legislaturperiode 1995 wahrnahm, bescheinigte der Partei in seinem Bezirk ein Politikverständnis, das aus alten SED-Zeiten herrühre. „Um Martina Albinus-Kloss haben sich ehemalige Genossen geschart, welche nach dem Verlust ihrer staatstragenden Rolle versuchen, wieder einen Zipfel Macht in den Händen zu halten.“

Der Streit in der Friedrichshainer Fraktion hat angesichts solcher Vorwürfe längst bundespolitische Brisanz erlangt. Ausgerechnet im Wahlkreis von Christa Luft, die vor vier Jahren 44,4 Prozent der Wählerstimmen in Friedrichshain und Lichtenberg auf sich vereinen konnte, wird an Grundfesten der Partei, den Offenen Listen, gerüttelt. Und ausgerechnet der zur Betonfraktion zählende Bezirksverordnete Joachim Pempel ist im Wahlkreisbüro der aussichtsreichen Direktkandidatin gestrandet, von wo aus er, wie Steffen Zobel zynisch bemerkte, „nun den ganzen Tag Politik machen darf“.

In einem „Positionspapier zur Lösung des Fraktionskonflikts“ äußerte Pempel unter anderem, daß es seines Erachtens „keine ausdiskutierte Position zum Inhalt und dem Umgang mit der Offenen Liste“ gibt. Zobel konstatierte nach der Lektüre des Papiers: „Sollten sich die Ansichten von Achim Pempel zur Offenen Liste durchsetzen, ist die PDS der Nationalen Front der DDR näher denn je.“

Zehn Tage will Andreas Fichtner sich und dem „Parteiapparat“ jetzt Gelegenheit geben, seinen Ausschluß zu überdenken. Einen Wechsel zur Fraktion der verprellten PDSler, der Demokratischen Linken Liste (DLL) in Friedrichshain, hält er mittlerweile nicht mehr für ausgeschlossen. Zwar sei er, so Fichtner, keiner, der allzu schnell aufgebe, auch sei er nach wie vor interessiert, im Sinne des PDS-Wahlprogramms alternative Politik zu machen, „aber ich glaube auch nicht an Wunder“.

Derartiges zu prophezeien, hat sich inzwischen eine ganz andere Partei genehmigt: So vermeldete am Freitag eine Werbebroschüre der CDU in Spandau, daß die Baustadträtin von Friedrichshain ihr Amt niederlegen und als neue Geschäftsführerin der Entwicklungsträgergesellschaft „Wasserstadt Oberhavel“ im März die Nachfolge Jürgen Nottmeiers antreten werde. „Ein Scherz“, versicherte eine Mitarbeiterin der Wasserstadt GmbH. Die Ausschreibung des Postens war am selben Tag erst veröffentlicht worden. Es habe keine Absprachen, geschweige denn Entscheidungen gegeben.

In Friedrichshain dürfte das Gerücht jedoch neuen Zündstoff für den Streit in der PDS liefern. Zum einen steht die Debatte um die Baustadträtin und das „Bauprojekt Rigaer Straße“ auf der Basis des vorliegenden Berichtes des zeitweiligen Ausschusses in der BVV noch aus, zum anderen hatte erst kürzlich der Fraktionschef der Bezirks-CDU, Hans-Jürgen Pietruszinski, geäußert, daß man sich mit Martina Albinus-Kloss in der Baupolitik sehr nahe stehe. Kathi Seefeld