Ein neues Spiel am Golf

In der Krise werden die Bilder knapp, daher wiederholen sich die immer gleichen altbekannten. Rituale bestimmen die mediale Dramaturgie der Kriegsvorbereitung, meint  ■ Ortrun Blase

Fast schon ist es wie in alten Zeiten. CNN, der Sender mit dem Sinn für Katastrophen, Kriege und die Kleinigkeiten der Dramaturgie des Weltgeschehens, erlebt seine wer weiß wievielte Auferstehung zu realer politischer Bedeutung. Seine Bilder signalisieren die Wiederkunft des Altbekannten.

Peter Arnett, das journalistische Gesicht amerikanischer Kriegsberichterstattung, kehrt heim an den Ort seines größten medialen Triumphes. Tarik Aziz, das diplomatische Gesicht des Iraks, ist zwar am Ort des Geschehens, kehrt aber in das Interesse der Medienöffentlichkeit zurück. Und die ewige Wiederkehr der allein für möglich gehaltenen militärischen Lösung bedeutsamer symbolisch-politischer Konflikte manifestiert sich in der täglichen Monotonie der Starts und Landungen amerikanischer Kampfflugzeuge auf ihren schwimmenden Flugplätzen. Ebenso hält die ewige Wiederkehr der Bilder von der Ankunft und Abfahrt der Diplomatenautos, des Händeschüttelns und der Pressemikrofone „letzte Hoffnung“ auf eine „diplomatische Lösung“ wach.

Das Ritual ist ein beliebtes Mittel, bei Medien wie in der Machtpolitik. Es offeriert Dramaturgie aus sich selbst heraus, löst Form und Inhalt voneinander, verleiht ihnen eine kraftvolle Eigendynamik. Ein derart politisch instrumentalisiertes Ritual hat mit der ursprünglichen Bedeutung des Wortes zwar nicht mehr viel zu tun, borgt aber dessen Form und Funktionalität.

Ritus steht in der wörtlichen Bedeutung für Wahrheit und Recht. Claude Lévi-Strauss, der französische Anthropologe, beschreibt ihn als eine dem Spiel verwandte Handlung. „Jedes Spiel ist durch die Gesamtheit seiner Regeln bestimmt, die eine praktisch unbegrenzte Zahl von Partien ermöglichen; aber der Ritus, der auch ein Spiel ist, ähnelt vielmehr einer bevorzugten, aus allen möglichen herausgehobenen Partie, denn nur diese ergibt eine bestimmte Art von Gleichgewicht zwischen den beiden Partnern.“ Ein gerechtes Spiel also. Die Summe mehrerer Riten, das Ritual, ist gleichzeitig ein eindrucksvolles Instrumentarium zum Transport einer Weltanschauung, einprägsam durch seine Bildsprache und im wahrsten Sinne des Wortes gut nachvollziehbar. Identifikationen sind über das Ritual gekoppelt auf visueller, auditiver und emotionaler Ebene möglich.

Die dem ursprünglichen Ritual ähnliche wahrnehmungspsychologische Wirkung politischer, militärischer und medialer Szenarien ist durchaus beabsichtigt und wird zu einem Ritual neuen Charakters. Wenn Inhalt und Form voneinander entkoppelt sind, können Ton und Bild beliebig kombiniert, also neu gekoppelt werden. Gleichzeitig werden zwei Nachrichten gesendet, eine visuelle und eine akustische mit jeweils eigenen, manchmal entgegengesetzten Inhalten.

Während die Moderatorin sich schon eifrig bei ihrer Kollegin vor Ort vergewissert, ob sie akustisch zu verstehen ist – in einer Krisensituation könnte die Leitung ja jeden Moment zusammenbrechen –, überlegt selbst der geübte CNN- Zuschauer noch: Was sollte im vorausgegangenen Beitrag über die UN-Vermittlungsbemühungen durch die Bilder der schwerbewaffneten Kampfbomber eigentlich suggeriert werden? Daß Diplomatie, insbesondere der UNO, sinnlos ist? Daß ein Militäreinsatz unausweichlich ist? Oder sollten bei ZuschauerInnen die emotionalen Vorbedingungen für die Zustimmung zum Kriegführen, der breite Konsens im zweiten Golfkrieg, durch das visuelle Zitat emotional reanimiert werden?

Natürlich, die Menge der aktuellen Bilder ist begrenzt. Sie wird begrenzt durch die limitierte Zahl militärischer Drehgenehmigungen, durch einen Mangel an Bildern, die nicht durch Verteidigungsministerien selbst zur Verfügung gestellt werden. Die Folge: Der Zwang zur Wiederholung ist geschaffen. Diese hilft beim Transport der beabsichtigten, aber unterschweligen Botschaft. Was das Pentagon liefert oder genehmigt, muß gesendet werden – es gibt nichts anderes. Selbst auf eine fragwürdige Alternative wird bei CNN zurückgegriffen – Bilder aus dem vergangenen Golfkrieg. Ohne Quellenangabe. So zeigte der Nachrichtensender in den letzten Tagen Bilder eines Kampfflugzeugtyps, welcher zu dieser Zeit noch gar nicht in der Region war. Dann wieder aktuelle Bilder – unbeholfen wirkende Reserveinfanteristen aus dem Irak, gefolgt von antiamerikanischen Demonstrationen in arabischen Ländern.

Visualisierte militärische Omnipotenz auf US-Seite steht gegen visualisierte Emotion und Unberechenbarkeit auf irakischer Seite. Bilder großzügiger Paläste, während von dem unberechenbaren Potential irakischer Massenvernichtungswaffen gesprochen wird. Lauern sie hinter diesen Mauern? Bilder von Saddam Hussein, Zooms, er setzt sich hin, steht wieder auf, schüttelt Hände – wortlos unkalkulierbar, ganz wie sein Waffenpotential. Wer eigentlich ist dieser „verstockte“ Diktator, der nicht gehorchen kann? CNN kündigt ein Porträt an.

Ich zappe, lande bei deutschen, öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit Informationsauftrag, will sagen: in einer der obligatorischen Expertenrunden. Wissenschaftler, Journalisten, professionelle Beobachter. Sie halten einen amerikanischen Militärschlag für unausweichlich. Er werde kommen, wenn nicht in den nächsten Tagen, dann in den nächsten Monaten. Und das bleibe ganz unabhängig von den Verhandlungsergebnissen Kofi Annans gültig.

Sind diese professionellen Medienbeobachter nun Opfer oder Teil der Suggestion des politisch- medialen Ritus der Krisenberichterstattung, oder sind sie ganz einfach Realisten? Klar ist: CNN sendet „The Showdown with Iraq“ – und der geht weiter.