Erwachsen werden mit Guido Westerwelle

■ Die Jugendweihe galt als unliebsames SED-Relikt. Nun entdeckt die westliche Politprominenz die Alternativ-Konfirmation. Demnächst tritt FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle auf

Berlin (taz) – Claudia Nolte war nicht amüsiert. „Sie sind wohl über die PDS hierher gekommen?“ beschied sie dem Herrn, der sie bei der Bonner Veranstaltung „Jugend und Parlament“ im September ansprach. Er hatte sich als Präsident der „Interessenvereinigung für humanistische Jugendarbeit und Jugendweihe e. V.“ vorgestellt – die Bundesjugendministerin aus Thüringen wußte gleich Bescheid: „Der Verein ist doch linkslastig.“

Frau Nolte ließ den Mann abblitzen, andere nicht. Am 28. März wird FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle zur Eröffnung der diesjährigen Jugendweihe-Saison in Bad Kösen (Sachsen-Anhalt) zu Jugendlichen sprechen. „Wenn ein bekannter Vertreter der Bonner Regierungsparteien bei uns auftritt, ist das schon wichtig“, zeigt sich FDP-Mitglied Werner Riedel von der Tragweite seiner erfolgreichen Einladung an den hochrangigen Parteifreund überzeugt. Die Anwerbung von Politpromis als Strategie, um mehr Akzeptanz zu gewinnen? „Nein“, sagt Riedel, „aber wir sind kein Verein, der im Untergrund arbeitet. Die Politiker kommen zu uns, wir betteln nicht.“ Bei den im Osten sehr beliebten Festen für den symbolischen Übergang vom Kind zum Jugendlichen treten seit langem ostdeutsche Bundestagsabgeordnete wie Gregor Gysi (PDS), Thomas Krüger (SPD) oder Rainer Ortleb (FDP) auf – was für Christdemokratin Nolte genug Zeichen der Linkslastigkeit des Vereins ist. Doch das liegt an den Konservativen selbst, denn auch die würde Werner Riedel gern für die Jugendweihe interessieren. Regelmäßig informiert er in Bonn über seinen Verein und hat schon alle Fraktionschefs eingeladen. Nur von Wolfgang Schäuble bekam er nicht mal eine Antwort.

Dessen christdemokratischer Parteifreund und Berlins Wirtschaftssenator Elmar Pieroth war dagegen 1997 im Ostbezirk Hellersdorf (zugleich sein Wahlkreis) bei einer Feierstunde aufgetreten. Das hatte für 800 nachträgliche Anmeldungen von Jugendlichen gesorgt, aber auch für Empörung in der CDU. Nichtsdestotrotz will Pieroth, so er eingeladen wird, in diesem Jahr erneut kommen. Mit dem Segen der Landesparteispitze, denn Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky seien sich diesmal mit ihm einig: „Das überlassen wir doch nicht der PDS.“ Das Zeichen seiner Offenheit „gegenüber den Ostdeutschen und ihrer Geschichte“ hätten 1997 einige Parteifreunde besonders im Westen einfach nicht verstanden, „weil sie glaubten, die Jugendweihe sei eine Erfindung der SED“.

Mitnichten, denn bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatten freireligiöse Gemeinden und freidenkerische Verbände nach Alternativen zum offiziellen Religionsunterricht gesucht. Sie erfanden ihr eigenes „Konfirmationsfest“, für das damals in Thüringen der Begriff Jugendweihe geprägt wurde. Viele Anhänger kamen später vor allem aus der Arbeiterbewegung, während in der DDR die Jugendweihe bald zum freiwilligen Pflichtprogramm gehörte. Heute muß kein Jugendweihling mehr Staatstreue geloben. Aber der Verein möchte schon ein inhaltlich anspruchsvolles Programm anbieten. Ein wichtiger Schritt dahin ist die künftige Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Ein erstes Treffen von Riedel und Ignatz Bubis gab es im September, im Juni werden in Suhl die Präsidien beider Organisationen gemeinsam tagen. Obwohl zum Beispiel Führungen über jüdische Friedhöfe schon jetzt zum Angebot für die Jugendlichen gehören, glaubt Riedel: „Wir haben riesigen Nachholebedarf bei der Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und den Lebensformen der Juden. Wir wollen nicht nur viel von Multikulti reden, sondern es in die Tat umsetzen.“ Auf vorwiegend negatives Interesse stößt der Verein dagegen bei der katholischen und evangelischen Kirche. Deren Berliner Bischof Huber scheint beim Thema Jugendweihe seine Toleranzgrenze erreicht zu haben. Riedel würde deshalb gern ein Gespräch am Runden Tisch mit Vertretern von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden oder Bildungseinrichtungen durchführen, um sich „die Hand zu geben als Zeichen gegenseitigen Anerkennens“.

Für die ostdeutschen Jugendlichen – von denen nur jeder zehnte konfessionell gebunden ist (im Westen achtmal soviel) – ist das ohnehin ein geringeres Problem. Sie feiern zunehmend beides: Konfirmation und Jugendweihe. Und während im Osten fast jeder zweite Kandidat teilnimmt, erfaßt die ostdeutsche Welle in diesem Jahr knapp 1.000 Westjugendliche – unter anderem in Hamburg und Hof. Gunnar Leue