Berliner Zwangslage bei Abtreibungen

■ Ärztestreik wegen gekürzter Kostenübernahme bei Abtreibungen

Berlin (taz) – Einen kostenlosen Schwangerschaftsabbruch machen zu lassen, ist in Berlin seit vier Wochen äußerst kompliziert. Denn ein Großteil der ambulanten Operateure und deren Anästhesisten weigern sich derzeit, Abbrüche bei hilfebedürftigen Frauen durchzuführen. Der Grund: Der Berliner Senat hat Anfang des Jahres die Zuschüsse für ambulante Abbrüche dermaßen gekürzt, daß die niedergelassenen Gynäkologen bei Abtreibungen nicht mehr kostendeckend arbeiten, sondern Gelder zuschießen müssen.

Von den rund 13.000 jährlichen Abbrüchen in der Stadt – in Berlin wird am häufigsten abgetrieben – werden bei 10.000 Fällen die Kosten für die Abbrüche von der Gesundheitsverwaltung übernommen. Wenn eine schwangere Frau bei einer Krankenkasse angibt, daß sie unter 1.700 Mark verdient, bekommt sie dort einen Kostenübernahmeschein für den Abbruch, der dann vom Senat bezahlt wird. Lag diese Kostenübernahme pro Abbruch 1997 noch bei knapp 550 Mark, erstattet die Gesundheitsverwaltung in diesem Jahr nur noch 417 Mark. Die Begründung des Senats: Die ambulanten Operateure würden die Kosten unnötig in die Höhe treiben. Doch eine betriebswirtschaftliche Untersuchung hat ergeben, daß ein kostendeckender Abbruch 646 Mark teuer ist, sagt Ansgar Pett, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes Ambulantes Operieren.

Die schwangeren Frauen sind durch den Boykott gezwungen, entweder doch die Kosten des Abbruchs zu übernehmen oder in einem Krankenhaus stationär abzutreiben. Dann nämlich zahlt die Krankenkasse. Doch etliche versuchen auch einen dritten Weg, denn der Aufenthalt in einem Krankenhaus ist nach Angaben von Pett nicht besonders beliebt: „Viele Frauen bieten an, die Differenz zwischen der bisherigen Senatszahlung und der jetzigen Kostenerstattung zu zahlen“, weiß Pett. Doch das ist illegal. Der Gynäkologe hat jedoch von einigen Ärzten gehört, die sich dennoch die Differenz zahlen lassen. Auch seine Kollegin Regine Lutterbeck kennt zwei Kollegen. Sie geht davon aus, daß die Dunkelziffer weit höher liegt.

Die Frauen, die nicht den ganzen Abbruch oder die Differenz zahlen können, sind durch den Boykott gezwungen, in Krankenhäusern abtreiben zu lassen. Dort sind die Ärzte mittlerweile von dem Ansturm der Frauen überfordert, denn normalerweise werden über 90 Prozent der Abbrüche in ambulanten Operationszentren durchgeführt. „In manchen Krankenhäusern gibt es Wartelisten bis zu drei Wochen“, sagt Pett. Im Kreuzberger Urban-Krankenhaus beispielsweise hat die Abbruchrate aufgrund des Boykotts „deutlich zugenommen“, sagt Henning Meier, Oberarzt der gynäkologischen Abteilung. Bisher seien noch nicht alle Betten belegt, doch wenn, dann müßten Frauen weggeschickt werden.

Auch in den Krankenhäusern kostet ein ambulanter Abbruch 417 Mark. Doch, so weiß Pett, würden die Patientinnen zur Kostendeckung häufig bis zu drei Tage stationär eingewiesen werden, damit die Kliniik den Abbruch über die Krankenkasse abrechnen kann. Die Kosten des Abbruchs erhöhen sich dadurch auf bis zu 1.500 Mark.

Daß der Boykott die schwangeren Frauen in eine doppelte Zwangslage treibt, ist auch Ansgar Pett bewußt. Aber: „Die neue Verordnung läßt uns keine Wahl, wir müssen sonst draufzahlen.“ Julia Naumann