Mädchen und Jungs zeitweise trennen

■ Berlin und Nordrhein-Westfalen setzen verstärkt auf getrennten Schulunterricht. Rollenbilder schon im Schüleralter hinterfragen

Berlin (taz) -Die Schulministerien von Berlin und Nordrhein- Westfalen haben Zeitungsberichte entschieden dementiert, „die Koedukation abschaffen zu wollen“. Am gemeinsamen Unterricht von Jungen und Mädchen werde prinzipiell festgehalten.

In bestimmten, vor allem naturwissenschaftlich-technischen Fächern werden die Geschlechter aber phasenweise getrennt lernen. Gleichzeitig geht es in der sogenannten „reflexiven Koedukation“ auch darum, die herrschenden Rollenbilder aufzubrechen. „Wir wollen, daß sich Mädchen in gleicher Weise für Naturwissenschaften begeistern wie dies Jungen tun“, erläuterte die Sprecherin der Berliner Schulverwaltung, Almuth Draeger. Das Wahlverhalten für Leistungskurse zeige, daß sich Schülerinnen nach wie vor stärker für den musisch- künstlerischen Bereich interessieren und Schüler für technische Fächer. „Dieses rollenspezifische Wahlverhalten wollen wir aufweichen“, sagte Draeger. Physik etwa wählen zehn Prozent der Jungen, aber nur ein Prozent der Mädchen.

An der Spree können Schulen bereits seit acht Jahren Jungen und Mädchen getrennt unterrichten. In den Fächern Biologie, Chemie, Physik, Arbeitslehre, Geografie und bei der „informationstechnischen Grundbildung“ ist sechs Monate lang ein geschlechtshomogenes Lernen möglich. Neuerdings kann diese Frist auf Antrag verlängert werden. Die Mädchenschule lasse sich dabei auch nicht durch die Hintertür wieder einführen, hieß es. „Die Schule muß ihren Beitrag dazu leisten, die Chancengleichheit zu fördern – notfalls durch phasenweises Trennen von Jungen und Mädchen“, begründete die bündnisgrüne Bildungspolitikerin Sybille Volkholz das Berliner Modell. Volkholz hatte es 1990 in einer rot-grünen Landesregierung eingeführt. Inzwischen wenden 156 Schulen (von 1.190) in Berlin die „reflexive Koedukation“ an.

In Nordrhein-Westfalen gehe es darum, „Mädchen zu stabilisieren und Jungen zu sensibilisieren“, erläuterte die sozialdemokratische Schulministerin Gabriele Behler ihr Konzept. Der Abschlußbericht einer Landestudie zur Koedukation („Was Sandkastenhocker von Heulsusen lernen können“) habe ergeben, „daß es den Schülern und Schülerinnen in manchen Fächern mehr Spaß macht, in getrennten Gruppen zu lernen“.

Die Schulministerin kündigte an, die (seit 1993 mögliche) Koedukation 1999 auch offiziell in die neuartigen „Schulprogramme“ aufnehmen zu wollen.

Die ermöglichen es Schulen, sich ein eigenes inhaltliches Profil zu geben. „Die Schulen können in den Programmen niederlegen, ob und warum sie in bestimmten Fächern getrennt unterrichten“, sagte Schulministerin Behler. Christian Füller