„Da war so'n Neger, der rauchte“

■ Amtsrichter Schill verurteilt kranken Schwarzafrikaner aufgrund von Indizien

Ein Schwarzafrikaner und ein Weißer treffen sich nachts betrunken in Billstedt in der U-Bahn. Der Äthiopier hat die Füße auf den Sitz gelegt und raucht. Der andere Mann, ein 54jähriger Mitarbeiter der Hamburger Wasserwerke, kommt gerade von einer Weihnachtsfeier und setzt sich neben dem jungen Afrikaner. Ein Wort gibt das andere. Gestern mußte sich der 25jährige wegen des Streits im November 1996 vor dem Amtsgericht verantworten.

„Da war so'n Neger, der rauchte“, erinnert sich der Wasserwerker. Der habe ihn mit einem Butterflymesser bedroht und gefordert „Give me money“. Mit kräftiger Stimme schildert der breitschultrige Mittfünfziger, wie er die Bank gewechselt habe, um dem Afrikaner aus dem Weg zu gehen. „Jetzt behalt' bloß die Nerven“, habe er sich gesagt, und bewußt auf „ausländerfeindliche Äußerungen“verzichtet. Der Angeklagte sei hinterhergekommen, um ihn erneut zu bedrohen und ihm ins Gesicht zu spucken.

Auf die Frage von Amtsrichter Ronald Schill, warum er sein Portemonnaie nicht herausgerückt habe, poltert der Wasserwerker: „Von so 'ner Pappnase laß ich mir kein Geld abnehmen.“Von den umsitzenden Fahrgästen habe sich niemand eingemischt. „Wenn da einer mit dem Messer steht, dann hilft einem niemand“, das hat den 54jährigen nicht weiter überrascht. An der nächsten Station springt er aus der U-Bahn, der Zugführer hat bereits die Polizei alarmiert.

Die Besatzungen zweier Streifenwagen nehmen den Schwarzafrikaner vorläufig fest. In einem Abfallbehälter des Waggons wird das Schmetterlingsmesser gefunden. Keiner der vier Polizisten sucht unter den Fahrgästen nach Tatzeugen. In der Gerichtsverhandlung wundert sich eine Schöffin, daß die vermeintliche Tatwaffe nicht auf Fingerabdrücke untersucht worden ist. Schill, als „Richter Gnadenlos“zu zweifelhaftem Ruhm gelangt, ficht das nicht an. „Die Kriminalbeamten haben den Sachverhalt offenbar für eindeutig gehalten“, folgert er.

Der 25jährige Schwarzafrikaner versucht in seiner Aussage, den Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung aus der Welt zu schaffen. „Ich habe mit diesem Menschen gestritten“, räumt der Äthiopier ein, der seit 1988 in der Bundesrepublik lebt. „Aber ich habe den Mann niemals bedroht, und ich hatte auch kein Messer in der Hand“, betont er. Amtsrichter Schill läßt die Klinge des Schmetterlingsmessers aufblitzen und fragt: „So etwas Schönes, wollen Sie es wiederhaben?“Der Angeklagte läßt sich trotz seiner lückenhaften Deutschkenntnisse nicht aufs Glatteis führen. Er habe kein Messer und außerdem an dem betreffenden Abend 200 Mark in der Tasche gehabt.

Der dunkelblaue Pullover ist dem abgemagerte 25jährigen auf der Anklagebank ein wenig zu groß. Aufgrund seiner bereits zum Ausbruch gekommenen HIV-Infektion muß er im UKE mit genau dosierten Medikamenten behandelt werden. Mit einer Aidserkrankung hat er in Athiopien kaum eine Chance. Bislang hat die Ausländerbehörde aufgrund seines Gesundheitszustandes von einer Abschiebung abgesehen. Sein Asylantrag ist schon vor Jahren abgelehnt worden.

Amtsrichter Schill verurteilt den Äthiopier zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Schon die Staatsanwältin hatte sich in puncto Glaubwürdigkeit für den Wasserwerker entschieden. Wenn beide nicht von einem minder schweren Fall ausgehen würden, hätte die Mindeststrafe bei fünf Jahren gelegen. Aber auch so stellt das Strafmaß einen zwingenden Abschiebegrund dar. Dem 25jährigen bleibt nur die Berufung und die Hoffnung auf die nächste Instanz.

Lisa Schönemann