Auch eine Art Publikumsverarschung

■ Wenn Denker schrammeln: Die Berliner Band Wohnung läßt sich auf nichts festlegen, hat aber auch nichts dagegen, wenn es jemand anders tut – die glorreiche Wiederkehr der Dialektik

Der Toaster steht neben dem Mischpult. Tim Nowacki sitzt in seinem Häuschen in Stolpe-Süd, schmiert sich eine Käsestulle und übt sich in Dialektik. „Wir treten als Produzent von Identität auf“, beschreibt er die Absicht seiner Band Wohnung. Das bedeutet, „viele verschiedene CDs zu machen, viele verschiedene Stile zu verfolgen“. Andererseits sagt er: „Es ist kein Ziel, sich nicht festlegen zu lassen.“ Demnächst wird Nowacki seinen Abschluß in Philosophie machen.

Auch die restlichen vier Mitglieder von Wohnung haben mal Philosophie studiert oder tun es noch. Das erklärt nicht alles, aber doch einiges. So, daß jede Äußerung, ob nun Tapes oder CD-Rohlinge, begleitet wird von schriftlichen Manifesten. Da heißt es dann konsequent klein geschrieben z.B.: „das ende von avantgarde und gegenwelt impliziert, daß nunmehr an die stelle der kritik die werbung tritt.“ So ging das mit jeder Veröffentlichung. Das Problem ist, daß es Wohnung bis heute nicht geschafft haben, endgültig etwas zu veröffentlichen. Zwar haben sie es schon auf ein halbes Dutzend Record-Release-Partys gebracht, aber in die Läden kam nie etwas. Die verschiedenen Versionen ihres nie veröffentlichten Debüt- Albums „Cola“ sind schon lange nicht mehr zu zählen. Man hätte sie direkt bei ihnen bestellen können, aber das hat nie jemand getan. Ein paar wurden bei Konzerten verkauft oder an interessierte Journalisten verteilt.

Immerhin: Das Erscheinen von „Cola“ (inzwischen mit dem schönen Untertitel „Die frühen Jahre“ versehen) in einer Miniauflage von 100 Exemplaren wird heute in der Galerie Berlin-Tokyo gefeiert. „That's Cash“ dagegen, jene Platte ihrer Splittergruppe Project Forty- Five, zogen sie wieder zurück, weil plötzlich doch Plattenfirmen Interesse anmeldeten – nun erscheint sie im Eigenverlag. „Natürlich“, gibt Nowacki zu, „ist das auch eine Art Publikumsverarschung.“

Der erste Auftritt von Wohnung fand im Herbst 1995 in Nowackis Berliner Wohnung statt, den Namen entlieh man einem Einrichtungsratgeber aus den 60er Jahren. Etwa ein halbes Jahr später eröffnete Karel Duba, der mit Nowacki ein DJ-Duo bildet und für Wohnung schon mal die Cover gestaltet, in der eigenen Wohnung seine erste als Galerie getarnte illegale Bar. Seitdem sind das Wohnungsbar-Konzept und Wohnung unweigerlich miteinander verknüpft. In einer dieser Bars in Prenzlauer Berg hat Nowacki gelebt, als er aus seiner eigenen Wohnung flog: „Es war schrecklich. Der Gestank nach Bier und Zigaretten. Es war nicht zu reinigen. Und es ist eine Menge Arbeit und für mich einfach verschwendete Zeit.“

Nachdem das „Leben in der Bar“ gescheitert war und die ständigen Wohnungswechsel zu anstrengend wurden, erinnerte er sich der Erbschaft der Tante in Stolpe-Süd. Seitdem proben Wohnung kurz hinter der nördlichen Stadtgrenze Berlins. Nowacki (Gitarre), Reimund Spitzer (Gitarre), Sandra Starnenkovic (Keyboards), Fels (Baß) und Töns Wiethüchter (Schlagzeug) funktionieren im Übungsraum zwar „wie eine konventionelle Band“, die Songs aber entstehen am Rechner. Dazu sampeln sie sich selbst und bauen anschließend daraus die Loops. Das hat auch praktische Gründe: Ein Stück durchrechnen zu lassen, würde Stunden dauern.

Es ist Schrammelmusik, das wissen sie selbst. Mal ist es auch Easy Listening, dann wieder Betroffenheitsstoff. Die elektronische Seite von Wohnung haben Nawocki und Fels am ausführlichsten auf „That's Cash“ ausgelebt. Zwar wählten sie hierfür den Namen Project Forty- Five, aber das Ergebnis wird nur als eine weitere Meinungsäußerung von Wohnung, als eine weitere Erscheinungsform verstanden. „Prinzipiell kann jeder von uns unter dem Namen Wohnung seine eigenen Projekte verfolgen“, so Nawocki, „andererseits werden einzelne Projekte durch die ständige Zusammenarbeit zu Band- Projekten.“ Glückliche Wohnung.

Komischerweise ergibt ihr nicht dingfest zu machender Arbeitsprozeß ziemlich oft wunderschöne Musik. Ist die Beliebigkeit oberstes Stilprinzip, wird alles möglich. In „Verschwunden“ heißt es: „Ich bin verschwunden, ich muß mich suchen gehn.“ Dann aber geht es weiter: „Wenn ich noch lange warte, wird mich der Wind verwehn.“ Denker im Kleinkrieg mit Dichter? Philosoph mit Hang zum Romantizismus? Vielleicht auch verschiedene Fraktionen innerhalb der Band? „Wir sind wahrscheinlich die ersten in Deutschland“, verortet Nowacki seine Wohnung historisch, „die nicht versuchen, sich ein vermarktbares Image zu geben.“ Nur um gleich danach versonnen anzumerken: „Aber das als Konzept wird natürlich wieder vermarktbar.“ Thomas Winkler

26.2. und 28.2. in der Galerie Berlin-Tokyo, Rosenthaler Straße 38, Mitte. 18.3. im Podewil, Klosterstr. 68–70