Wie die UNO in Ruanda ihren Ruf ruinierte

■ Der Völkermord von 1994 geschah direkt unter den Augen einer untätigen UN-Eingreiftruppe. Zu wenige Soldaten und ein begrenztes Mandat trugen zu dem Desaster bei

Seine Kraft zeigen, aber sie nicht anwenden – so definierte UNO-Generalsekretär Kofi Annan jetzt seine Philosophie nach seinem erfolgreichen Abkommen über Rüstungskontrolle mit dem Irak. Das Beispiel Ruanda zeigt jedoch, zu welch katastrophalen Folgen diese Haltung führen kann. Und Kofi Annan war der für Blauhelmeinsätze zuständige UN-Vizegeneralsekretär, als 1993–1994 in Ruanda eine UNO-Friedenstruppe stationiert war, die schließlich ihre militärische Kraft nicht anwandte, um einen Völkermord zu verhindern.

Die UN-Truppe Unamir war in Ruanda stationiert, um das am 4. August 1993 in Arusha geschlossene Friedensabkommen zwischen dem damaligen Hutu-Regime und der Tutsi-Guerillabewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) zu überwachen. Hauptaufgabe der Unamir sollte die Überwachung der Sicherheitslage sein, damit die geplante Übergangsregierung aus allen Parteien in einem „friedlichen Umfeld“ ihr Amt antreten könne. Konkret sollte die UNO in der ruandischen Hauptstadt Kigali eine weitgehend demilitarisierte Sicherheitszone einrichten.

Der UN-Sicherheitsrat beschloß die Aufstellung der Unamir am 5. Oktober 1993 – einen Tag nachdem in Somalia 18 US-Soldaten im Rahmen der dortigen internationalen Militärintervention getötet worden waren. Das Somalia- Debakel färbte stark auf die Diskussion um Ruanda in der UNO ab: Vor allem die USA waren gegen eine neue große Afrika-Mission, während Frankreich aufgrund seiner Unterstützung für Ruandas Regierung dem ganzen Unternehmen skeptisch gegenüberstand. So wurde die Truppenstärke der Unamir auf 2.548 festgelegt – der designierte Kommandant Romeo Dallaire hatte ursprünglich 4.500 Soldaten gefordert. Auch das Mandat war enger als ursprünglich vorgeschlagen: Einen Auftrag zur Entwaffnung außerhalb der Hauptstadt bekam die Unamir nicht.

Dies erwies sich als Fehler. Denn schon 1993 gab es Berichte von Menschenrechtsgruppen, wonach Extremisten im Umfeld des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana Milizen bildeten, um die Tutsi-Minderheit in Ruanda auszurotten und damit eine Machtteilung mit ihr überflüssig zu machen. Ruandas populärster Radiosender seit Sommer 1993 war „Radio Mille Collines“, das Hetze gegen die Tutsi, gegen das Arusha- Abkommen und gegen die UNO verbreitete.

Im Januar meldete Belgiens Militärgeheimdienst, Milizen in Ruanda wollten die Unamir angreifen, um sie zum Abzug zu zwingen und damit das Arusha-Abkommen zu Fall zu bringen. Am 11. Januar 1994 berichtete General Dallaire der UNO von detaillierten Massakerplanungen in Kigali. Er forderte die Erlaubnis an, die ihm bekannten Waffenlager der Milizen in Kigali auszuheben. Dies wurde nach belgischen Quellen von UN-Vizegeneralsekretär Kofi Annan persönlich abgelehnt, weil es dem Unamir-Mandat widerspreche.

Blauhelme sollten sich in Ruanda „ausruhen“

Aber auch die Mitgliedsländer tragen ihre Verantwortung. Die ersten belgischen UNO-Soldaten, die ab November 1993 in Ruanda stationiert wurden, kamen direkt aus dem umkämpften Somalia – ihre Vorgesetzten sagten ihnen, in Ruanda könnten sie sich jetzt ausruhen. Nichts lag ihnen ferner als militärische Aktivität.

Am 6. April 1994 kam Ruandas Präsident Juvenal Habyarimana ums Leben, als sein Flugzeug von einem Militärlager bei Kigali aus abgeschossen wurde. Die radikale Fraktion der Armee übernahm die Macht, Massenmorde an ihren politischen Gegnern und Angehörigen der Tutsi-Minderheit setzten ein. Die Unamir blieb untätig. Nicht einmal zur Selbstverteidigung setzte sie Gewalt ein. Am 7.April wurden zehn belgische Blauhelme, die eigentlich Ruandas Premierministerin Agathe Uwilingiyimana beschützten, zusammen mit dieser von Ruandas Präsidialgarde getötet.

Danach hatte die Unamir erst recht Angst. Am 8. April berichtete UN-Sonderbeauftragter Jean- Jacques Booh-Booh nach New York: „Die Unamir hält an ihrem Mandat fest, obwohl die jetzige Lage unserer Mission nicht erlaubt, die uns aufgetragene Aufgabe zu erfüllen.“ Die UN-Truppe habe begrenzte Mittel und müsse sich daher vorrangig auf „unseren Selbstschutz“ beschränken.

Kigalis Bevölkerung wußte aber nicht, wie ängstlich die UN-Soldaten waren. Während die Zahl der Toten in die Zehntausende ging, sammelten sich bis zu 25.000 Menschen an den Stellen, wo Unamir-Kontingente stationiert waren. Aber am 21. April beschloß der UN-Sicherheitsrat, die Unamir bis auf einen symbolischen Rest abzuziehen. Dies, so die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sei „eine buchstäbliche Einladung, jene abzuschlachten, die bisher ein Mindestmaß an Schutz durch die UNO-Truppen hatten“. Nur wenige der Hilfesuchenden wurden evakuiert. Später meinte Dallaire gegenüber der UNO, er hätte den Völkermord möglicherweise verhindern können, wenn er 5.000 bis 8.000 Mann zur Verfügung gehabt hätte. Inzwischen ist bekannt, daß in den vertraulichen Unamir-Einsatzregeln die Klausel enthalten war, die Truppe werde „eingreifen, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern“. Sie tat es nicht.

Eine Untersuchungskommission des belgischen Parlaments zum Völkermord in Ruanda äußerte Ende 1997 vernichtende Kritik an der Unamir. Sie habe sich vorrangig darum gesorgt, ihr gutes Verhältnis zu den ruandischen Streitkräften aufrechtzuerhalten, obwohl diese an den Massakern beteiligt waren. „Die UNO und General Dallaire tragen dafür die Verantwortung.“ Dominic Johnson

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