"Kinderknäste" werden wieder salonfähig. Wenn es nach Bundesinnenminister Kanther (CDU) und einigen seiner Länderkollegen auch aus der SPD geht, sollen Wiederholungstäter im Kindes- und Jugendalter künftig wieder in geschlossene Heime geste

„Kinderknäste“ werden wieder salonfähig. Wenn es nach Bundesinnenminister Kanther (CDU) und einigen seiner Länderkollegen auch

aus der SPD geht, sollen Wiederholungstäter im Kindes- und Jugendalter künftig wieder in geschlossene Heime gesteckt werden dürfen.

Problemkids hinter Gitter

Die erste „Zecke“ hat er mit 9 Jahren aufgemischt. Mirko war mit von der Partie, als Magdeburger Rechtsradikale 1992 eine Geburtstagsfeier überfielen und den 23jährigen Torsten Lamprecht erschlugen. Er war 11, als seine Kameraden Asylbewerber durch die Fußgängerzone der Elbstadt hetzten. Inzwischen ist er 13 und gehört zu den Glatzen, die kürzlich die Wohnung von Peter Böttcher überfielen und seinem Freund den Schädel zertrampelten. Mirko, der in Wirklichkeit anders heißt, ist in Magdeburg sattsam bekannt. Daß er bald sein nächstes Ding drehen wird, erwarten sowohl Streetworker als auch Polizisten. Wie man ihn davon abhalten könnte, weiß dagegen keiner. Der halbstarke Schläger ist nicht strafmündig, auch nach seinem letzten Überfall hat man ihn lediglich bei den Eltern abgeliefert, eine Sozialarbeiterin soll sich kümmern.

Glaubt man Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP), dann dürfen „hartgesottene Bürschchen“ wie Mirko nicht länger frei herumlaufen. Kinder und Jugendliche, die „zum wiederholten Male schwere Straftaten begangen haben“, will der Minister ins Heim einweisen. Hier müsse „Erziehung ermöglicht werden“, erklärte er jüngst im Spiegel, „notfalls gegen den Willen der Eltern“ und „mit deutlichem Zwang und staatlichen Zugriffsmöglichkeiten“. Solche forschen Töne hört der Kollege im Innenministerium gern. Manfred Kanther (CDU) schwor schon Anfang Februar die Innenminister der Länder auf einen härteren Kurs in Sachen Kriminalität ein. „Bei Kinder- und Jugenddelinquenz“, heißt es in der einstimmig gefaßten Resolution der Konferenz, „ist der vollständige Verzicht auf die geschlossene Heimunterbringung problematisch.“ Im Klartext: Das geschlossene Jugendheim soll wieder salonfähig werden.

Das klingt nach entschlossener Problemlösung. Nach effektiver Polizeiarbeit, ernstzunehmenden Erziehern und jugendlichen Querulanten, die hinter Schloß und Riegel zur Umkehr gezwungen werden. Doch die neue Debatte in Bonn ist ein uralter Hut. Schon in den 70er Jahren liefen westdeutsche Soziologen gegen geschlossene „Kinderknäste“ Sturm. Bis 1989 wollten selbst konservative Pädagogen der alten Bundesrepublik nichts mehr von Erziehung hinter Gittern hören.

Sechs geschlossene Jugendheime gibt es heute noch in Deutschland, alle in den alten Ländern. Ansonsten wurde das Modell begraben. Im Osten, weil man die berüchtigten „Jugendwerkhöfe“ der DDR vor Augen hatte. Im Westen, weil in geschlossenen Heimen mehr Probleme geschaffen als gelöst werden. Hier haben oft gerade diejenigen das Sagen, die die krummsten Dinger drehen. Vor allem aber zeigt sich: Wer immer wieder aus offenen Heimen ausbricht, bleibt auch in geschlossenen Anstalten nicht. „Geschlossene Heime bedeuten nichts anderes als ein fatales Abschieben derer, denen man nicht beikommt“, erklärt der Heimexperte Christian von Wolffersdorff. Statt zu kapitulieren, sollten Erzieher die Jugendlichen „viel offensiver mit ihren Taten konfrontieren und nach einer neuen Form der Verständigung suchen“.

Das klingt gut, funktioniert aber immer seltener. Betreuung rund um die Uhr ist teuer, 400 Mark am Tag kostet ein Heimplatz mit eigenem Sozialarbeiter. Was bleibt, sind mühsame Gratwanderungen der Erzieher. Wohin mit einer 13jährigen, die im offenen Heim mit Drogen dealt, aber wieder auf dem Babystrich landet, sobald sie rausfliegt? Wie rankommen an ein Aussiedlerkind, das eher Autos knackt und auf Trebe geht, als in der betreuten Wohngemeinschaft auf die Abschiebung zu warten? Was tun mit muskelbepackten Skinheads, die sich über das „Gelaber“ wohlwollender Pädagogen nur lustig machen? Gerade in der rechten Szene drücken etliche Sozialarbeiter inzwischen beide Augen zu. Doch wer allzu verständnisvoll ist, wird nicht ernst genommen. Und wer brutalen Schlägern schroff die Meinung sagt, kommt nie wieder mit ihnen ins Gespräch.

Den verunsicherten Pädagogen springen jetzt die Sicherheitsexperten bei. Innen- und Justizminister wollen durchgreifen, in Sachsen-Anhalt übernehmen Polizeibeamte neuerdings den Job der Jugendhelfer. „Jugendkommissariat“ nennt sich das Magdeburger Modell, bei dem halbwüchsige Wiederholungstäter nach jeder Festnahme vom selben Polizisten betreut werden. Er soll zwischen Jugendamt, Justiz oder Eltern vermitteln – und sich als „Bulle“ Respekt verschaffen. Das Projekt sei „sehr erfolgreich“, versichert der Sprecher des Innenministeriums. „Auch wenn es nicht unproblematisch ist, daß die Polizisten nicht zur Sozialarbeit ausgebildet wurden.“

Über den harten Kern der Szene macht man sich allerdings wenig Illusionen. In Sachsen- Anhalt wird ein neues Jugendgefängnis gebaut, Unverbesserliche will Innenminister Manfred Püchel (SPD) ins geschlossene Heim stecken (siehe Interview). Unter seinen Parteifreunden steht er damit nicht allein. Letzten Herbst preschte der Berliner Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) mit einer Forderung nach geschlossenen Anstalten vor. „Nur so kann ich einen Personenkreis erreichen, der sich sonst entzieht und dann endgültig aufgegeben wird“, meint er. Zustimmung auch bei den Genossen in Niedersachsen. Justizministerin Heidi Alm-Merk (SPD) und Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) haben sich mit der einst verpönten Idee angefreundet – nur als „Ultima ratio“ natürlich und „damit keiner ins Gefängnis kommt“. Constanze v. Bullion