Das Kino ist tot, es lebe das Kino

Von der folkloristischen Inszenierung Afrikas wegkommen: Die Berlinale ist vorüber, das Filmfestival „Cinema Afrika“ im Haus der Kulturen der Welt dagegen läuft noch bis Ende März und präsentiert eine kleine, aber feine Auswahl des letztjährigen FESPACO  ■ Von Hedwig Richter

Während die Berlinale pompös über die Bühne rauschte, startete zur selben Zeit etwas abseits und weniger beachtet im Haus der Kulturen der Welt das Filmfestival „Cinema Afrika“. In der Retrospektive werden ausgewählte Filme des größten afrikanischen Filmfestivals, des Festival Panafricain du cinéma et de la Télévision de Ouagadougou (FESPACO), gezeigt: insgesamt 25 von 170 Filmen, die 1997 während des letzten FESPACOs Aufsehen erregt hatten. „Wir haben das afrikanische Filmfestival bewußt während der Berlinale begonnen“, erklärt Petra Wagner, Mitorganisatorin von „Cinema Afrika“ und Jurymitglied im FESPACO. „Erstens, weil die Filme sehr wohl mit denen der Berlinale konkurrieren können, zweitens weil die Retrospektive zumindest einen Teil dessen ergänzt, was in der Berlinale zu kurz kommt.“ Das ganz normale Berlinale-Publikum allerdings blieb aus. Die meisten, die sich die Filme anschauen, haben eine besondere Beziehung zu Afrika: Entwicklungshelfer, Ethnologie-Studenten, Leute, die afrikanische Sprachen lernen, Afrikareisende und natürlich viele gebürtige Afrikaner. Immerhin: Die Organisatoren haben einen Massenandrang nicht erwartet und sind mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden.

Am Eröffnungswochenende waren viele der preisgekrönten Regisseure anwesend und standen Publikum wie den Fachleuten für Fragen zur Verfügung. Nach den Filmen, auf Podiumsdiskussionen, in Privatgesprächen und auf dem Musikfest „Extravagance Africaine“ wurde viel diskutiert. „Es kam überall zu spannenden Begegnungen. Die Stimmung war einfach toll“, erzählt Petra Wagner. Die Regisseure hätten ihre Filme und ihr Verständnis von Kunst dargestellt, ohne sich dabei auf dogmatisch starre Haltungen zu versteifen. So wurde die Vielfalt der Filme durch die Vielfalt der Meinungen ergänzt.

Das war nicht immer so. Der schwarzafrikanische Film entwickelte sich in den 60er Jahren gleichzeitig mit der Unabhängigkeit der Länder. Das Kino wurde lediglich als Mittel der Erziehung und politischen Aufklärung gesehen. In der Charta der afrikanischen Filmschaffenden von 1975 hieß es, die Aufgabe der Regisseure sei Erziehung, Bewußtseinswerdung und Informationsvermittlung. Der burkinische Regisseur Dani Kouyaté bemerkt dazu: „Das ist nicht der Diskurs meiner Zeit. Ich glaube, daß die erste Generation ihren Auftrag erfüllt hat. Das Kino hat viele Funktionen.“

Vielfalt ist angesagt, und sie spiegelt sich im „Cinema Afrika“ auch phantastisch wider. Kaum ein Thema, das hier nicht behandelt würde. Fast verbittert sind die afrikanischen Regisseure über westliche Vorbehalte, aufgrund derer dieser Themenreichtum nicht wahrgenommen wird. „Die ganze Diskussion über das afrikanische Kino paßt mir nicht.

Das afrikanische Kino gibt es nicht

Wir sind doch keine Herde Schafe!“ beschwert sich Kouyaté. Und Irdrissa Ouédragogo, einer der bekanntesten afrikanischen Regisseure (und Gewinner des Silbernen Bären 1993), von dem die Tragikomödie „Kini & Adams“ gezeigt wird, meint: „Das afrikanische Kino gibt es nicht. Wenn man unsere Verschiedenheit nicht individuell betrachtet, werden wir an den Rand gedrängt. Das trägt nicht gerade dazu bei, Vielfalt zu fördern.“ Statt dessen wünscht sich der Filmemacher: „Ich möchte vor allem aus der Situation des Bemitleidetwerdens und der folkloristischen Inszenierung Afrikas herauskommen.“

Die Regisseure berichten davon, wie viele westliche Kritiker auf den Vorurteilen beharren, afrikanisches Kino müsse entweder Problemkino sein oder doch zumindest „typisch afrikanisches Dorfleben“ darstellen. Gaston Kaboré, der mit „Buud Yam“ den Grand Prix FESPACO '97 gewann, versetzte die Geschichte seines Filmes deswegen ins 19. Jahrhundert. „Damit wollte ich den heutigen Klischees über Afrika entgehen“, erklärte Kaboré in einem Filmgespräch. Er beansprucht Allgemeingültigkeit für seinen Film: „Die Geschichte könnte überall passieren.“ Er erzählt – jenseits aktueller afrikanischer Konflikte – ein Märchen, in dem ein junger Mann auf einer langen Reise eine Mission zu erfüllen hat und dabei nicht nur auf die Wüstenprinzessin und eine verwunschene Nixe stößt, sondern auch ungeheure Gefahren und Abenteuer zu bestehen hat. Afrikanisches Kino? Klingt wie Parzival oder wie der Prinz im Grimmschen Märchen.

Dabei werden die einstigen klassischen Themen wie Politik und Aufklärung heute keineswegs gemieden. In dem äthiopischen Film „Tumult“ etwa wird von einem mißglückten Putsch für die Demokratie erzählt; und dann ist da der Film „Flame“, der die Guerillakämpfe im ehemaligen Rhodesien zum Gegenstand hat. Doch bleibt Politik ein Thema unter vielen. Immer häufiger verfilmen Regisseure traditionelle Erzählungen wie in „Buud Yam“, „Mossane“, der von der schönsten afrikanischen Frau erzählt, oder „Taafe Fanga“, in dem Frauen den Aufstand proben. Ein weiterer Themenkomplex handelt von den heutigen Problemen Afrikas: Aids, die Sehnsucht nach dem reichen Westen, Auswanderung etc. Auffällig oft werden die Geschlechterrollen in den Filmen der Retrospektive thematisiert. Etwa in der Komödie „Taafe Fanga“, in dem die Frauen die Männer entmachten, ihnen die häuslichen Arbeiten übertragen und nun selbst die Machos spielen. Eine Dame fragte nach der Filmvorführung den Regisseur Adama Drabo, wie er zu dieser feministischen Grundhaltung gelangt sei. Drabo war erstaunt. Er vertrete keinen Feminismus, erwiderte er. Er sei eben immer von starken Frauen umgeben gewesen: von einer ungewöhnlich beherzten Mutter und einer wunderbaren Gattin, die ihm „sieben Kinder geschenkt“ habe. Petra Wagner, die die meisten afrikanischen Filmemacher persönlich kennt, bestätigt: „Für irgendwelche westlichen Dogmen haben diese Regisseure wenig Verständnis. Das ist sehr bereichernd.“

Der burkinische Regisseur Idrissa Ouédraogo nennt einen neuen Schwerpunkt: Unterhaltung. „Wir müssen in eine Produktionslogik eintreten: Das Produkt muß gefallen“, stellt Ouédraogo fest. „Beim Kino – das darf nicht vergessen werden – geht es in erster Linie um Geld.“ Das hört sich ernüchternd an, ist jedoch angesichts der schwierigen finanziellen Lage aller Filmemacher in Afrika verständlich. Da die eigenen Länder oftmals zu arm sind, Filme zu produzieren, müssen sie sich an die westlichen Länder wenden.

Das Problem ist der Verleih der Filme

So entsteht ein Konflikt zwischen finanzieller Abhängigkeit und künstlerischer Unabhängigkeit. Noch größer ist das Problem allerdings, was den afrikanischen Filmverleih betrifft. Nach dem FESPACO bekommt meist nur noch ein europäisches Publikum die afrikanischen Filme zu sehen. Denn afrikanische Kinobesitzer und Filmverleiher ziehen die indischen und anglo-amerikanischen Produktionen den einheimischen vor. „Das afrikanische Publikum erwartet von uns gute Qualität, Inspiration und intelligente Unterhaltung“, meint Ouédraogo. So könnten sie auch in afrikanischen Kinos bessere Erfolge erzielen. Mit „Kini & Adams“, Eröffnungsfilm des FESPACO '97, wird der burkinische Regisseur seinen Anforderungen jedenfalls gerecht: Eine Tragikomödie über zwei Männer, die sich aus tausend Einzelteilen ein Auto basteln, um ihren Traum, in die Stadt zu reisen, wahrzumachen. Mit seinen geistreichen knappen Dialogen, die in wenigen Worten mehr Witz und Esprit beweisen als viele wortreiche deutsche oder amerikanische Komödien zusammen, und mit seinen raffiniert einfachen und oft langen Bildeinstellungen ist der Film trotz seiner Einzigartigkeit typisch für das afrikanische Kino.

„Cinema Afrika“ (und die Programmreihe Cinema Afrika für Kids) noch bis 29.3. im Haus der Kulturen der Welt, Termine siehe die taz-Beilage vom 13.2.