Wenn Van Gogh gezappt hätte

■ Nicht weniger als ein ganz neuer Ausstellungstypus: „fast forward“im Kunstverein

Flugzeugentführungen sind das Thema eines der wenigen spektakulären Beiträge zur letzten documentaX, für den komplexen Film Dial H-I-S-T-O-R-Y des Belgiers Johan Grimonprez hat der Kunstverein jetzt ein Kino in seine Räume eingebaut. Verändert wurde auch das Ausstellungskonzept als Ganzes: Die Donnerstag eröffnete Reihe fast forward präsentiert nicht weniger als einen ganz neuen Ausstellungstyp. Das schnelle Vor- und Zurückspulen des Videorecorders („ffwrd“) wird zum Synonym einer nichtlinearen Kunstbetrachtung – und kann retrospektiv doch über zeitliche Moden und verschiedene Länder hinweg Diskurslinien durch Kunst kenntlich machen.

Lange geplant und mehrfach verschoben setzt Stephan Schmidt-Wulffen für seine grundlegende Neubewertung der Kunsttendenzen der achtziger Jahre den kulturtheoretischen Anspruch der letzten documentaX in ein funktionierendes Ausstellungskonzept um.

Fünf Ausstellungsvariationen, die teilweise dieselben Arbeiten enthalten, werden über fast ein Jahr die Leistung der Kunst für aktuelle Themen spätmoderner Befindlichkeit zeigen: „ffwrd-Image“das Wesen des Bildes, „ffwrd-trade marks“die Kommerzialisierung der Kultur,“ffwrd-body check“die Konstruktion von Subjektivität, „ffwrd- archives“das angemessene Geschichtsbild und „ffwrd-borderlines“die kritischen Handlungsspielräume.

Der erste Teil hat unter dem Motto: „Was hätte van Gogh gemalt, wenn er täglich drei Stunden ferngesehen hätte?“mit 30 Künstlern die Analyse und Umsetzung der TV-geprägten Medienrealität zum Thema. Wie eine mögliche Antwort ist die erste, kleine Galerieausstellung von Kultfotograf Wolfgang Tilmans komplett rekonstruiert. Die Seltsamkeiten, die so unbrauchbar vorgeben, ein Bild unserer Welt zu sein, zeigt Albert Oehlen in einer zehnteiligen Collage von Magazinausrissen zwischen Kunst, Politik und Nudismus. Härter ist die Kritik bei Rudolf Bonvie: Sein Video kombiniert Busen- Voyeurismus mit Bildern eines sich selbst verbrennenden Menschen.

Die Re-Realisierung von Abbildern in Kunst, die Re-Fotografie einer Bildwelt, die schon vor und neben der Kunst das visuelle Gedächtnis besetzt, nimmt einen weiten Raum ein. Dafür stehen aus Deutschland und den USA vorwiegend frühe Arbeiten von Walter Dahn, Fischli/Weiß, Isa Genzken, Astrid Klein, Sherrie Levine, Richard Prince, Thomas Ruff und Cindy Sherman. Daß manche Fotos dieser Künstler zeitgleich als Teil einer reinen Fotosammlung in den Deichtorhallen zu sehen sind, macht den theoretischen Zugang des Kunstvereins um so interessanter.

In Werner Büttners Serie „Desastres de la Democrazia“, 1981 begonnen und bis heute fortgesetzt, trägt ein Blatt das Motto: „Intelligenz hängt von den Lichtverhältnissen ab“: Schon „ffwrd-Image“leuchtet auf gelungene Weise zwecks Steigerung eines intelligenten Umgangs mit der Kunst die letzten zwanzig Jahre aus, inszeniert in den Worten Schmidt-Wulffens, eine „Ideenchoreographie, bei der Werke wieder als Denk- und Kommunikationsmittel erscheinen“. Hajo Schiff

Fast forward – Image“, Kunstverein, Klosterwall 23, bis 26. April, weitere Teile bis Ende Januar 99. Dauerkarte 50 Mark.

Sonntag um 12 Uhr spricht Liam Gillick über seine Arbeit. Sondervortrag: „Abschied von der Moderne“: Stephan Schmidt-Wulffen setzt Anmerkungen zum Minimalismus, Donnerstag, 19.30 Uhr.