Kunstunkraut, duftend

■ Stippvisite auf der Frankfurter Frühjahrsmesse „Ambiente“/ Hat Wohnen mit Leben zu tun? Design mit Glück?

as vorweg: Glückliche, seelisch gesunde Menschen brauchen nicht mehr als eine Matratze und eine Glühbirne. Paar alte Teller, Töpfe, Messer, Gabeln, Löffel. Vielleicht noch einen Topflappen. Der Rest ist Luft und Liebe. So leben glückliche, seelisch gesunde Menschen.

Wir aber. Brauchen Porzellan von Wedgewood und Klobürsten von Koziol. Ein Designer-Bügelbrett von Colani. Eine Soehnle-Personenwaage, deren anatomisch geformte Trittfläche sich wie ein Fußbett unseren Füßen anpaßt. Blauweiße Blumengebinde aus Plastik, die sogar riechen. Und vom Stuhl abgeleitete Sitzinstallationen für 1.000 Mark das Stück. Weil in unsere Wohnungen nie und niemals und ums Verrecken nicht das Glück einziehen will, müssen wir die Leere um uns (in uns! in uns!) mit schönen Dingen vollstellen. Die weltweit größte Ausstellung schöner Vollstelldinge ist die Frankfurter Konsumgütermesse, die im Frühling „Ambiente“heißt und im Februar mit 5.040 Ausstellern aus 91 Ländern komplett ausgebucht war.

Die wirtschaftliche Lage der Branche entspricht der des Volkes und seiner Kaufkraft. Zum wichtigsten Segment der Vollstelldingbranche hören wir Thomas Grothkopp. Grothkopp ist Geschäftsführer des Bundesverbandes für den gedeckten Tisch, Hausrat und Wohnkultur e.V.: „Die Wertigkeit von Geschirr beim Verbraucher hat stark abgenommen. Er gönnt sich lieber andere Sachen.“Aber kann man heute eigentlich überhaupt noch von „dem“gedeckten Tisch sprechen? Kann man nicht. Untersuchungen des Einzelhandels haben gezeigt, daß die Endverbraucher, die sich an einen gedeckten Tisch setzen, in exakt fünf Zielgruppen zerfallen: die Kultivierten, die Traditionellen, die Ambitionierten, die Trendorientierten und die Unkomplizierten. Kleine Hilfestellung für die Selbsteinordnung: Kultivierte lesen die FAZ, haben Richelieux-Stickerei an der Tischdecke und reichen zum Frühstück exotische Zwergmandarinen; sie stehen auf Harmonie und hassen Schnickschnack. Traditionelle sind normale Spießer mit Blümchenmuster und Nippes; auf den Tisch gehört der (Napf-)kuchen. Ambitionierte trinken schon morgens Prosecco, lieben Quietschfarben und barocke Sektkühler. Trendorientierte begehen Stilbruch, wo sie können, und finden Design wichtiger als Funktion. Und wir anderen sind die Unkomplizierten: Wir kaufen dieses schwere knallbunte Geschirr, das man jetzt überall sieht, und lesen ZEIT und taz. Der Einzelhandel muß entscheiden, auf wen er sich wirft, und entsprechend zielgruppenscharf dekorieren.

Und nun zu den Trends. Im Kommen sind „die Eisfarben“. Und danach kommt Pastell! Das hat die niederländische Trendforscherin Mike de Bock den Leuten von Koziol geflüstert, jener Firma, die uns vor gut zwei Jahren mit geradezu phosphoreszierend bunten Spülbürsten und Hygieneeimerchen erschütterte. Das bunte Plastikgedöns wird mittlerweile von der ganzen Klobürstenbranche nachgebaut, die jetzt aber schon wieder das Nachsehen hat, weil die Eisfarben kommen (und dann: Pastell).

Ein zweiter Trend geht unbedingt hin zum Plastik. Plastik boomt! Besonders Haushaltsplastik. Seit man Plastik guten Gewissens in den gelben Sack steckt, greift man im Geschäft ebenso guten Gewissens zu. Das wiederum freut den Designer: Er hat eine vogelige Idee – irre Form, schräge Farbe – er füttert seine Spritzgußmaschine mit den erforderlichen Daten – et voila! „Masse ist klasse!“ruft der Designer, und setzt damit den dritten Trend: gutes Design für Massenprodukte dank Plastikboom. Pardon: Kunststoffboom! Wir sollten, mahnt die Plastikindustrie, darauf achten, daß es nicht „Plastik“, sondern „Kunststoff“heißt. Ersteres erinnere an „billig“, letzteres dagegen schon vielfach an „Design“!

Und woran erinnert „Design“? Uns Endverbraucher auf immerdar an Professor Luigi Colani, versteht sich. Tusch! Weltneuheit! Colani hat sich einem scheinbar design-resistenten Produkt zugewandt, dem Bügelbrett. Für die Firma Hailo (“Helfer der Hausfrau“) kreierte Colani den sich nierenförmig um die Bügelnde biegenden Bügeltisch, dessen Bügelfläche sich der Bügelnden zu allem Überfluß auch noch um vier Grad zuneigt – ein ergonomisches Wunderwerk. Zwar ließe sich das subtil geschwungene Design-Fußgestell theoretisch wegklappen, doch wohl keine Hausfrau käme auf die Idee, das Schmuckstück in die Abstellkammer zu verbannen. Übrigens hat man bei der Firma Hailo, die auch Klappwäschetrockner für satte 160 Mark anbietet, den Eindruck, daß die Leute immer dann mehr Geld für Bügeltische und Wäschetrockner ausgeben, wenn sie weniger zur Verfügung haben. Ein ökonomie-psychologisches Phänomen!

Leider verkaufen sich ja andere Produkte offenbar völlig konjunktur- und modeunabhängig. Nur kurz soll hier der Ekelbereich der Kunstblumen und Kuckucksuhren gestreift werden. Die Kuckucksuhren waren während der „Ambiente“zu Tausenden in einer unermeßlichen Halle versammelt und allesamt so eingestellt, daß zu jeder Sekunde irgendwo in der Halle ein Kuckuck schreit. Gottlob gehen fast alle Kuckucksuhren in den Export. Was bei den Kunstblumen der Abteilung „Floristik“nachweislich nicht der Fall ist, wie man in jedem beliebigen Hotel überprüfen kann. Unmöglich entrinnt man dort, in Rast- und Gasthäusern und an sonstigen Stätten der Behaglichkeit den niemals welkenden Kunstblumenarrangements und insbesondere dem unverwüstlichen Ficus benjaminus naturidenticus (Echtstamm, Plastikblätter) mit kippsicherm Betonsockel. Offenbar gibt es eine Dekorationswut in unseren Land, die nach solchen Schrecklichkeiten verlangt. Doch vielleicht sind es auch Naturhaß und Gießfaulheit, die zu Entgleisungen wie Kunstunkraut (Spitzwegerich) und künstlichen Blumenduft führen.

Es ist dagegen mehr als die bloße Erledigung der Chronistenpflicht, wenn hier auf Revolutionen im Bereich der kleinen Haushaltsgegenstände hingewiesen wird. WMF etwa hat den bis heute in seiner Formkonstanz und Endgültigkeit unübertroffenen Schneebesen revolutioniert: Ein „Rührblitz“genanntes Gerät, ein Bündel von Edelmetallstäbchen, an deren Enden je ein Stahlkügelchen sitzt, soll dem alten Schaumschläger den Garaus machen. Die Kügelchen peitschen nicht nur mehr Sauerstoff in den Eischnee, sondern sie vibrieren ihrerseits wie verrückt und beschleunigen so alle in der Küche vorkommenden Schäum- und Schlagvorgänge.

Eine zweite Weltneuheit ist der tränenfreie Zwiebelschneider der Firma GEFU, der absolut hermetisch arbeitet und spülmaschinenfest ist. Und dann sollte noch auf ein gleichzeitig anachronistisches und ultramodernes Schreibgerät hingewiesen werden: den Sensa. Niemand braucht im Computerzeitalter einen neu entwickelten Kuli. Doch der gelgefüllte Griff des Sensa paßt sich den Schreibfingern so schmeichlerisch an, daß man schrei(b)en möchte vor Lust. Darüberhinaus ist eine Mine eingebaut, die unter Wasser über Kopf einen Strich von 5,6 Kilometern Länge zu ziehen erlaubt. Unfaßbar! In der Exklusivversion (massiv Silber mit 24-Karat-Vergoldung) schon für 498 Mark unverbindlicher Verkaufspreis.

Appropos Gold: An dieser Stelle muß Frau Elfriede Fackelmann erwähnt werden. Seit undenklichen Jahren versorgt die Seniorchefin der Firma Fackelmann (2.500 Haushaltshelfer im Sortiment) die omalosem Kleinfamilien mit ihren goldwerten Haushaltstips. Diese findet man auf der Rückseite der Pappen, auf denen im Laden Kaffeedosierlöffel, Eierschneider und Linkshänderspargelschneider befestigt sind. Elfriede Fackelmann tradiert uraltes Hausfrauenwissen, wenn sie rät: „Durch leichten Druck mit dem Handballen auf den Knopf habe ich sofort ein Loch in der Dose und kann leicht die Flüssigkeit ausgießen. Sollte es sehr rasch gehen, mache ich gegenüber ein zweites Loch. Durch die somit entstandene Luftzufuhr habe ich Zeit gewonnen. Denn, durstige Seelen warten bekanntlich nicht gerne.“(Thema: Hebel-Dosenöffner).

Und ein Fackelmann-Produkt ist denn auch die einzige Weltneuheit am Markt, die selbst ein glücklicher, seelisch gesunder Mensch in seiner Wohnung dulden würde: Es handelt sich um einen Griff, an dessen Ende eine winzige Halbkugel befestigt ist, deren Rand gezackt ist. Damit kann man den gern nitratverseuchten Strunk der Tomate mit geringem Aufwand herausschneiden. Ein Werkzeug des Glücks, ohne Frage. BuS