Ein müder Aufklärer aus Sachsen in China

Kurt Biedenkopfs Erfahrungen und Konzepte aus Ostdeutschland finden im Reich der Mitte erstaunlich viel Gehör  ■ Aus Kanton Georg Blume

Zwei Steinlöwen fauchen zu ihrer Seite. Über ihnen schwingt sich auf himmelhohen Säulen ein gelb verziertes Tempeldach. Doch der Ministerpräsident von Sachsen und der Vizebürgermeister von Kanton blicken stur geradeaus in die Kameras. Ein Bild fürs Parteiblatt mit einer kleinen Besonderheit: Der Chinese im schwarz-roten Karo-Jackett wirkt jung, locker und dynamisch. Der Deutsche im grauen Anzug dagegen alt, müde und abgekämpft. Schon kurz zuvor, in dem halbstündigen Gespräch im stolzen Kantoner Rathaus, erschien der Gastgeber munterer und überzeugender. Das Rollenspiel zwischen einem Parteichinesen und einem deutschen Starpolitiker hat man sich jedenfalls anders vorgestellt.

Vielleicht ist Kurt Biedenkopf nur überanstrengt von der einwöchigen Chinareise, die gestern in Kanton zu Ende ging. Vielleicht hat der sächsische Ministerpräsident die Sechs-Millionen-Metropole am Perlfluß aber auch unterschätzt. Er wäre nicht der erste gewesen. Aber es ist immerhin eine Premiere – noch kein deutscher Politiker hat vor Biedenkopf die Hauptstadt der Provinz Guangdong besucht, seit hier vor zweieinhalb Jahren ein deutsches Generalkonsulat öffnen durfte.

Zufall ist das wiederum nicht. Kurt Biedenkopf ist schließlich ein Intellektueller, immer noch mehr Professor als Ministerpräsident, wie ein ihm vertrautes Delegationsmitglied flüstert. Und so beschreitet der CDU-Vordenker auch im Fernen Osten Wege, auf denen Helmut Kohl und seinesgleichen nur stolpern könnten. Nicht als U-Bahn-Verkäufer – wie der Kanzler auf seinem einzigen Trip nach Kanton vor fünf Jahren –, sondern als Diskussionspartner und Aufklärer tritt Biedenkopf in China an. Er will sich einen Platz im Denken der Chinesen schaffen, glaubt einer seiner Begleiter. Das ist, Karl Marx einmal ausgenommen, bisher nur wenigen Deutschen gelungen.

Doch der grauhaarige Ministerpräsident aus Dresden bringt Erfahrungen mit, die die Chinesen zugegebenermaßen noch nicht haben. „Sicher sind die Bedingungen in Sachsen und Guangdong sehr verschieden“, redet sich Biedenkopf im Gespräch mit dem Vizegouverneur der Provinz Guangdong warm. Doch er sehe auch Ähnlichkeiten. „Dazu gehört die Umwandlung der Staatsunternehmen und der Aufbau einer mittelständischen Struktur.“ Stolz verweist der Ministerpräsident auf die selbständigen Kleinunternehmer in seiner Delegation.

Für sein neues deutsch-chinesisches Thema hat Biedenkopf in Peking offene Ohren gefunden, und zwar an der entscheidenden Stelle: Zhu Rongji, der designierte Premierminister und starke Mann hinter Partei- und Staatschef Jiang Zemin, setzte sich zum ausführlichen Gespräch über die Zukunft der chinesischen Reformen mit dem Ministerpräsidenten zusammen. Soviel Klartext wie Biedenkopf bekam seit Jahren kein deutscher Politiker in China mehr zu hören. Die Reformen werden im ungedrosselten Tempo weitergehen, versprach Zhu, der nun erstmals als Quasi-Regierungschef auftrumpfen konnte. Und plötzlich bekamen Biedenkopfs scheinbar harmlose Erläuterungen über den mittelständischen Aufbau in Sachsen ein ganz neues Gewicht. Denn das Mittelstandsmodell müßte man in China eigentlich das Taiwan-Modell nennen.

Doch das darf man natürlich nicht. Also vielleicht doch ein Sachsen-Modell für das Riesenreich?

Biedenkopf hat freilich keine blühenden Landschaften zu versprechen. Erstens müßte man die großen Kombinate zerlegen, erzählt er in Peking, Schanghai und Kanton von seinen Erfahrungen im Osten. Zweitens behielten nur 10 bis 25 Prozent der Arbeiter ihre Stellung, und drittens kann das nur eine Vielzahl neuer Kleinunternehmen abfangen. Viertens bräuchte man eine Grundabsicherung für die Alten und Arbeitslosen – und da ist der Professor auch schon wieder bei der „Bürgerrente“, für die er in der CDU bisher erfolglos streitet.

Erstaunlich ist, daß sich Biedenkopf in China damit nicht ins Abseits redet. Im Gegenteil: In Schanghai verabredet er ansatzweise ein neues deutsch-chinesisches Forschungsprojekt. So, wie seine sächsisch-bayerische Zukunftskommission die Grundlagen der Arbeitslosigkeit in Deutschland neu erarbeitet hat, soll das bald auch in China geschehen. Werden nicht auch in China die Menschen reicher, je mehr Arbeitslose es gibt?

Man hört bei Biedenkopf immer wieder einen Satz: Die Chinesen dürfen die Fehler der Europäer nicht wiederholen. Er selbst aber kommt aus China zurück, wie er gekommen ist. Der Professor konnte ja nichts dazulernen. Ach richtig, da war noch was: In Schanghai hat Biedenkopf eine sächsische Druckmaschine eingeweiht. Und in Kanton ist er tatsächlich U-Bahn gefahren. Das wird er vielleicht sogar Helmut Kohl erzählen. Jedenfalls entsprach es dem Stil jener müden Aufklärer, von denen es derzeit in Deutschland so viele gibt, daß Biedenkopf gar nicht zu merken schien, wie gut seine Botschaften in China ankamen.