Verfremdung husten

■ Nina Hagen und Meret Becker mit Brecht-Liedern im Schauspielhaus

Ist dem Publikum wirklich schon „schlecht vor lauter Brecht“im Jubiläumsjahr? Offensichtlich nicht. Vor dem ausverkauften Schauspielhaus, in dem sich Freitag Nina Hagen und Meret Becker mit einem Liederabend am allgemeinen Geburtstagsrummel beteiligten, kam es jedenfalls zu tumultartigen Szenen. Nina-Hagen-Fans, klar, aber auch Bildungsbürger älterer Jahrgänge bettelten um die rettende Karte in letzter Sekunde.

Durchaus nicht mit schrillen Skurrilitäten, sondern mit den altbekannten Songs der Dreigroschenoper und Happy End bestritten die beiden ihr Programm – und doch war alles ganz anders. Fast so, als wäre der tote Dichter frisch und fröhlich wieder erwacht. Ganz selbstverständlich, ohne jede Parodie oder bemühten Rückgriff auf Kuriositäten wirkte klassischer Brecht auf einmal ganz aktuell.

Zwischen naivem Kind und abgeklärter femme fatale changierend, verkörperte Meret Becker ein weites Repertoire der Brechtschen Frauenfiguren. Und der per se verfremdeten Nina Hagen schienen die Lieder ohnehin wie auf den Leib geschneidert – so beispielsweise das „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Seins“, das sie mit abfällig kotzendem Husten einleitete. In der ihr eigenen feixenden Stimmakrobatik konnte man von Brecht gar nicht genug hören. Sechs Männer begleiteten die Ladies einfallsreich als Orchester, das vom Gitarristen Alexander Hacke – sonst Bassist der Einstürzenden Neubauten – angeführt wurde. Aus seinem Mund klangen die liebevoll ausgewählten Text-Miniaturen des dogmatischen Dichters schelmisch und charmant.

Aber am schönsten war es immer dann, wenn die beiden Power-Frauen gemeinsam auf der Bühne standen. Als sie den Geburtstagskuchen für ihren berühmten Songwriter an das Publikum verteilten, wirkte ihr „Weil auch du ein Arbeiter bist“so gar nicht belehrend, sondern einfach glaubwürdig. Genau so verabschiedete sich Nina Hagen: „Scheiß auf die materielle Welt.“Sabine Claus