Beiläufiger Wahnwitz

■ Die ödipale Kannibalismus-Komödie „Fette Männer im Rock“im TiK

Phyllis Hogan war gerade „seltsam erleichtert, daß mein Leben zu Ende war“und schloß die Augen für den Moment des Aufpralls, da fand sie sich schon am feinen weißen Sandstrand einer einsamen Südseeinsel wieder. Alle Passagiere der kleinen Maschine waren tot, aber bei ihr, ignorierter Ehefrau und Mutter eines stotternden Trottels, hatte das Schicksal mal wieder ordentlich geknausert: Alles, was beim Absturz über den Jordan ging, waren ihre Gucci-Schuhe. Jetzt hat sie Sand in den Strümpfen, was sie auf den Tod nicht ausstehen kann, und blickt aufs Meer, das doch der Inbegriff der Monotonie für sie ist. Überleben kann so grausam sein.

Eine blaue Kastenbühne (Christin Vahl) empfängt den Zuschauer mit einem feinen Rieselstrahl, der sie als überdimensionierte Sanduhr auszeichnet. Zeit ist ein wichtiges Thema von Nicky Silvers Farce Fette Männer im Rock – nicht nur, daß Mutter (Angelika Thomas) und Sohn (Dirk Ossig) in fünf Jahren Inselfrist schon mal Montag und Dienstag verwechseln und ein äußerst ausführliches Katherine-Hepburn-Quiz veranstalten müssen, um sie totzuschlagen; die permanente Gesellschaft der Affen läßt sie gleichsam die Evolution rückwärts durchlaufen. Und zwar im Zeitraffer. Pilotenbein gibt's zum Frühstück, Sex muß der Pubertierende wichsend den Affen abgucken. Alles Weitere wird an Mami ausprobiert. Auf der Insel geht das o.k., aber zurück bei Papi (Jörg Holm) macht das Probleme. Damit der sich nicht weiter aufregen muß und weil keine Rippchen mehr im Kühlschrank sind, frißt Sohnemann den Vater und seine Geliebte (Nicola Thomas) problemlösend auf.

Zehn Jahre lang schrieb der schwule New Yorker Dramatiker Silver Stücke, ohne daß das irgendjemand interessierte. Doch 1991 gelang mit einer Inszenierung der ödipalen Kannibalismus-Komödie Fette Männer ... der Durchbruch, und heute gehört der 37jährige zu den erfolgreichsten Autoren für den Off-Broadway. Seine hypernervösen Beziehungsstücke sind dabei keineswegs nur überdrehte Sit-Com-Imitationen, sondern mit Rückblenden und Überschneidungen der Handlungsebenen ausgeklügelte Mini-Dramen, deren Wortkaskaden meist direkt an das Publikum gerichtet sind.

Beate Andres, die mit Fette Männer ... ihre erste Regiearbeit im TiK vorstellt, hat klug auf die Beiläufigkeit des Wahnwitzes gesetzt. Anstatt einmal mehr mit plakativen Überzeichnungen zu zeigen, daß wir Zivilisations- und Mediengeschädigte sind, läßt sie neben der lustigen Paranoia kurze Momente echten Schmerzes und Hasses zu. Weil – Strand und Affen hin oder her – Überleben wirklich grausam ist. Christiane Kühl