Walnußschaum weckt Wrocklage

Möhrchen, Süppchen, lange Reden: Schön war's beim Matthiae-Mahl, schwelgt  ■ Silke Mertins

Die Kalbsmedaillons waren zwar zart und innen noch rosig, wie es sich gehört, doch sie waren leider auch lauwarm, was der Gourmet so gar nicht schätzt. Doch was tun, wenn es gilt, 425 handverlesene Gäste der feinen Gesellschaft im Großen Festsaal gleichzeitig abzufüttern wie am Freitag abend im Hamburger Rathaus? Na gut, man kann die Teller vorwärmen. Und so geschah es auch. Doch so behende und emsig die 120 RatsdienerInnen sich auch zwischen den beeindruckend langen Tischen mit je 100 erwartungsvollen und feingemachten Menschen bewegten: Die Fleischhäppchen, Böhnchen, Möhrchen und grünen Spargelstückchen kühlten auf dem Weg von der Küche aufs Tablett zum Teller in den Mund einfach ab. Die Trüffel-Hollandaise war trotzdem ziemlich lecker. Hach.

Doch das viergängige Menü steht bei dem ältesten noch begangenen Festmahl der Welt, der Matthiae-Mahlzeit, nicht wirklich im Mittelpunkt. Zunächst einmal muß man zu den wenigen Glücklichen gehören, die zu diesem erlauchten Diner überhaupt geladen werden. Dann gilt es, sich zu Beginn strategisch günstig zu plazieren – am besten in Eingangsnähe. So verpaßt man keinen Promi und kann sich mit seiner Bezugsgruppe über das unmögliche, beziehungsweise ganz reizende Outfit von zum Beispiel First Lady Gisela Runde (lila Paillettenkleid) oder EU-Kommissarin Monika Wulf-Mathies (ziemlich buntig) oder Ex-Bürgermeister Henning Voscherau (klassisch im Smoking) austauschen. Gleichzeitig kann man sich ausführlich der Frage widmen, was dieses oder jenes Millionärspärchen mit seinem vielen Geld wohl macht (zählen? drin baden? verschenken?).

Dann kommt der harte Part: Durch die Tischordnung wird man brutal von seinem oder seiner LebensabschnittsbegleiterIn und/oder seiner Bezugsgruppe getrennt. Und plötzlich findet man sich neben einem Mitglied des diplomatischen Corps, einem Unternehmer oder einem wahnsinnig wichtigen Politiker wieder und tauscht sich über den auf dem Tisch drapierten Silberschatz und die ganz hinreißende Tischdekoration aus.

Kaum hat die klassische Musik, natürlich live, eingesetzt, steht auch schon die Vorspeise – Wildgelatine mit gefüllter Feige – da. Anschließend: die erste Rede, und zwar vom Ersten Bürgermeister Ortwin Runde, dem Gastgeber. Klatschen, dann Consommé vom Zander. Ehrengast Petar Stojanov, der bulgarische Präsident, ergreift das Wort. Ergriffenes Klatschen. Jetzt folgt der Hauptgang. Als Wulf-Mathies in epischer Breite über die europäische Idee im allgemeinen und die Europäische Union im besonderen referiert, wird Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD), der am Kopfende eines der vier langen Tafeln sitzt, langsam schläfrig. Sehr schläfrig. Ihm fallen die Augen zu. Sein Kopf knickt weg. Er kämpft. Endlich erlösender Applaus, Wrocklage wacht auf, und es gibt Nachtisch: Walnußschaum und Rübli-Törtchen.

Nun darf aufgestanden und zu Mokka und Cognac geschritten werden. Ein letzter Plausch. Ein letzter Blick auf die Reichen und Schönen. Und dieses Mal kein Abschied bis zum nächsten Jahr. Denn 1999 wird der Festsaal renoviert. Erst im Jahre 2000 wird zu Matthiae wieder getafelt. Hoffentllich wird's wieder so schön.