Nicht knüppeln, sondern reden

■ Vor 50 Jahren wurde die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gegründet. Wolfgang Szepansky, Kommunist und KZ-Überlebender, ist Mitglied der ersten Stunde. Aufklärung der Jugend eine der H

taz: Herr Szepansky, Sie sind seit 50 Jahren Mitglied der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Warum?

Wolfgang Szepansky: Weil es damals wie heute wichtig ist, der Jugend den Antifaschismus nahezubringen. Ich gehe noch immer in Klassen und erzähle, was ich erlebt habe. Da sollte man keine zehnte Klasse auslassen. In der Aufklärung der Jugend sehe ich auch heute noch die Hauptaufgabe der VVN.

Wie kam es 1948 zur Gründung der VVN?

Sie müssen sich vorstellen, wie schrecklich es war, im Konzentrationslager zu sein, in der Todeszelle zu sitzen. Ich war in Sachsenhausen, habe den Todesmarsch mitgemacht. Wir kamen am 31. Mai in Berlin an, am 14. Juni haben wir in einer Schulaula vor jungen Menschen darüber gesprochen, was passiert ist und was wir tun müssen, damit so etwas nie wieder passiert. Das wurde in vielen Bezirken gemacht. Damals haben sich alle Opfer des Faschismus zusammengetan, es war egal, ob du Kommunist, Sozialdemokrat oder ein Bürgerlicher warst.

Das änderte sich bald: Die SPD fällte einen Unvereinbarkeitsbeschluß. Mit dem „Bund der Verfolgten des Naziregimes“ (BVN) wurde eine antikommunistische Gegenorganisation gegründet.

Der Kalte Krieg setzte ein, die SPD-Mitglieder traten aus, die Kommunisten wurden in der VVN allein gelassen. Aber ganz allein waren wir nie.

Was hat sich in 50 Jahren VVN verändert? Wie haben Sie sich am Anfang engagiert, wie heute?

Ich habe immer in der antifaschistischen Jugendorganisation und in der Schule gearbeitet. Da habe ich erzählt, was ich erlebt habe. Meine Eltern waren Sozialdemokraten, aber sie waren von Anfang an gegen den Ersten Weltkrieg und gleich bei der KPD dabei.

Ich trat in den Kommunistischen Jugendverband ein, meine Eltern gründeten die Agitprop- Gruppe „Roter Hammer“, und wir machten mit. Ich glaube, daß mir diese Zeit die Kraft gegeben hat, den Faschismus zu überstehen. Wir bekamen unheimlichen Beifall und die Verbindung unter den Menschen war stark.

Sie sind 1934 nach Holland emigriert.

Als die KPD schon illegal war, malte ich „Nieder mit Hitler, KPD lebt“ an eine Kreuzberger Wand, aber in der Methfesselstraße war ein SA-Lokal. Ich kam erst zur Polizei, dann 14 Tage ins Columbiahaus, dann drei Wochen ins Gefängnis. Dann ließen sie mich frei. Ich habe alles abgestritten, aber sie wollten mich vor Gericht stellen. „Du mußt weg, du weißt zuviel“, sagte die Parteileitung. In der Nacht zum 1. Januar 34 habe ich die Grenze nach Holland überquert, am 8. Januar wollten sie mich abholen.

Wie kamen Sie nach Sachsenhausen?

Ich bin in Holland verhaftet und interniert worden, dann haben sie mich an die Gestapo ausgeliefert. Über Dortmund und Berlin kam ich nach Sachsenhausen. Da war ich von Oktober 1940 bis zum 21. April 1945. Dann kam der Todesmarsch, der dauerte bis zum 2. Mai. Von all dem habe ich in der Schule erzählt oder auf Fahrten in die Mark Brandenburg und in Sachsenhausen.

Anfang der 50er Jahre wurden VVN-Mitglieder per Erlaß aus dem öffentlichen Dienst entfernt, Anfang der 60er Jahre scheiterte ein Verbotsversuch. Die NS-Opfer wurden zunehmend an den Rand gedrängt, gleichzeitig machten Altnazis Karriere. Wie haben Sie das erlebt?

Das war schrecklich. Ich wurde damals aus der Schule entlassen und nicht wieder eingestellt. Wir bekamen damals unsere beiden Kinder und konnten unsere Miete nicht mehr regelmäßig bezahlen. Ich kam dann bei der Deutschen Reichsbahn unter, da bekam ich Ostgeld. Also mußte meine Frau in der DDR einkaufen. Ich ging dann weiter in die Schule, aber nicht mehr als Lehrer.

Später hat die Schulverwaltung verboten, daß Mitglieder der VVN in den Schulen sprechen. Ich stand damals vor einer Steglitzer Schule und durfte nicht rein. Drei Tage später haben mich die Schüler dann eingeladen, in der Kirche gegenüber von meinen Erfahrungen zu erzählen.

1948 hatte die VVN bundesweit rund 300.000 Mitglieder, heute sind es noch 8.500, in Berlin 300. Stirbt die VVN?

Die Alten sterben weg, aber es geht weiter in der nächsten Generation. Es gibt Nachwuchs. Ende der 70er Jahre hat sich die VVN den jungen Leuten geöffnet. Sie kamen, und ich habe mit ihnen zusammengearbeitet. Zum Beispiel beim Aktiven Museum und bei Aktion Sühnezeichen.

Viele junge Antifas (Antifaschisten, d. Red) haben eine ganz andere Vorstellung von antifaschistischer Politik als die VVN. Geht das überhaupt zusammen?

Ja. Ich werde zum Beispiel in Sachsenhausen eingeladen und habe eine Gruppe Autonomer vor mir. Die waren sehr aufgeschlossen, als ich mit ihnen gesprochen habe. Aber ich finde falsch, daß sie den Streit mit den Rechten suchen. Wenn sie angegriffen werden, müssen sie sich verteidigen. Ich sage ihnen: „Wenn ihr solche Leute seht, versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, fangt nicht mit dem Knüppeln an.“

Meinen Sie, daß in solchen Fällen Reden hilft?

Das ist die große Frage, aber man sollte es versuchen.

Der Verfassungsschutzbericht schreibt über die VVN, daß ihre Distanz zu „gewaltbereiten Antifa-Gruppen“ abnehme. Stimmt das?

Davon ist mir nichts bekannt. Aber ich bin der Ansicht, daß man sich an die Gesetze halten soll. Die erlauben ja, VVN-Politik zu machen. Wir haben jetzt eine Demokratie, und deren Mittel muß man nutzen. Auch wenn man im Herzen Kommunist bleiben kann. Interview: Sabine am Orde