Teheraner Politiker bezichtigen Behörden der Folter

■ Anhänger des gemäßigten Oberbürgermeisters der iranischen Hauptstadt berichten aus dem Gefängnis. Sie wurden Opfer im Machtkampf zwischen Konservativen und Gemäßigten

Berlin (taz) – Irans oberster Richter war empört. Wer derartige Anschuldigungen vorbringe, müsse sie auch beweisen, andernfalls gehöre er ins Gefängnis, schimpfte Mohammad Jasdi beim letzten Freitagsgebet. Angesprochen waren ranghohe Teheraner Kommunalpolitiker. Sie hatten gegenüber Parlamentsabgeordneten berichtet, sie seien in einem Kerker Opfer von „unmenschlicher Behandlung und Folter“ geworden. Jasdi gab ihnen zwei Wochen Frist, um ihre Vorwürfe zu beweisen, anderfalls kämen sie dorthin, wo sie gerade herkamen.

Dem Chef des Justizapparats der Islamischen Republik sollte ein Blick in die alljährlichen Berichte von Menschenrechtsorganisationen genügen, um die Echtheit der Vorwürfe zu beurteilen. Dennoch: Daß solche Angaben im Iran öffentlich gemacht werden, erschüttert das Rechtssystem des Landes – und die Seite, von der sie kommen, machen die Angelegenheit zum Politikum. Denn die Ankläger sind Vertraute des Teheraner Oberbürgermeisters Gholam Hossein Karbastschi, ein Verbündeter des vergleichsweise moderaten Präsidenten Mohammad Chatami. Justizchef Jasdi gehört zu dessen konservativen Widersachern. Als die jetzt Freigelassenen im vergangenen Jahr verhaftet wurden, hieß es in Teheran, sie säßen stellvertretend für Karbastschi im Gefängnis, an den Bürgermeister hätten sich die Behörden nicht herangetraut.

Der 43jährige Karbastschi schaffte den Spagat zwischen Mullah und Politiker. Ausgebildet wurde er an den theologischen Fakultäten der den Schiiten heiligen Stadt Qom. Seit neun Jahren ist er Oberhaupt der iranischen Metropole und seither taucht kein Bild mehr von ihm im Gewand eines Geistlichen auf. Der Bürgermeister von Teheran hat eine Vorliebe für Maßanzüge und Realpolitik. Über- und Unterführungen ließ er bauen, um den Verkehr der von Smog gequälten Metropole zu entschärfen, Grünanlagen errichten und im armen Süden der Stadt – Hochburg der Ansar-e Hisbollah, der Anhänger der Partei Gottes – verwandelte er einen Schlachthof in ein Kulturzentrum, an dessen Außenfront prangt ein Abbild Charlie Chaplins. Zugleich ist Karbastschi erfolgreichster Verleger des Landes. Seine Tageszeitung Hamschahri (Mitbürger) schaffte es zum auflagenstärksten Printmedium des Landes.

Während der Parlamentswahlen vor zwei Jahren gehörte Karbastschi zu den Wirtschaftsliberalen um den damaligen Präsidenten Haschemi Rafsandschani. Vor den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Mai war er Berater von Mohammad Chatami, der überraschend 20 Millionen von 32 Millionen stimmberechtigten IranerInnen für sich gewinnen konnte.

Irans Konservative neiden dem Team Chatami/Karbastschi den Erfolg. Rechtzeitig zu Chatamis Amtsantritt ließen die konservativ dominierten Justizbehörden unter dem Vorwurf der Korruption sieben Mitarbeiter der Teheraner Stadtverwaltung inhaftieren – darunter jene, die jetzt über ihre Haftbedingungen Auskunft geben. „Das sind Taten jener, die die Wahlen verloren haben und jetzt Rache nehmen wollen“, meldete sich damals Karbastschi zu Wort. Seit November muß sich der Bürgermeister selbst wegen angeblicher Unterschlagung vor Gericht verantworten. Auf freiem Fuß ist er nur, weil seine Unterstützer umgerechnet 2,7 Millionen Mark Kaution auftreiben konnten. Thomas Dreger