Die schleichende Katastrophe

Wetterkapriole El Niño kostet in Südamerika Hunderte von Menschenleben und richtet Millionenschäden an. In Bolivien gleichzeitig Dürre und Flut  ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Verkehrte Welt in Südamerika. Der heiße argentinische Sommer ist verregnet und kühl, und in der sonst eher frischen, 3.600 Meter hoch gelegenen bolivianischen Hauptstadt La Paz schwitzen die Einwohner bei 28 Grad Celsius. In einigen Provinzen Perus will der Regen nicht mehr aufhören, und Bolivien leidet gleich an zwei Wetterveränderungen: Im Westen Dürre und Trockenheit und im Osten Regen ohne Unterlaß.

Für all das wird “El Niño“ verantwortlich gemacht, eine warme Meeresströmung im Pazifik, die alle zwei bis sieben Jahre an der Küste Perus auftaucht und das Weltklima durcheinanderbringt. Da die Strömung stets um die Weihnachtstage auftaucht, nannten peruanische Fischer sie El Niño – der spanische Ausdruck für „das Kind“ oder aber auch „das Christkind“.

Peru gab El Niño seinen Namen und ist nach Informationen der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation von allen lateinamerikanischen Ländern am schwersten davon betroffen. Mindestens 137 Menschen sind der Wetterveränderung bis heute zum Opfer gefallen. „Doch hat El Niño noch nicht so viel Aufmerksamkeit erregt, weil die Zahl der Toten relativ niedrig ist“, meint Claes Amundsen, Pressesprecher des Internationalen Rot-Kreuz-Verbandes für Lateinamerika. „Doch die Katastrophe ist viel größer, als die Totenzahlen zeigen. Allein in Peru haben mehr als 200.000 Menschen alles verloren.“ Dazu sind über 14.000 Häuser zerstört und mindestens 23.000 Hektar Ackerland beschädigt.

Wie hoch die dadurch verursachten finanziellen Schäden sind, läßt sich nur schwer abschätzen. Bisher wurde in Peru noch keine Katastrophenbilanz gezogen, aber Experten fürchten, daß die Schäden über eine Milliarde Dollar ausmachen könnten. Bis zum 24. Februar hat die peruanische Regierung unter Präsident Alberto Fujimori 188 Millionen Dollar für die Soforthilfe ausgegeben. Ministerpräsident Alberto Pandolfi ließ vergangenen Freitag wissen, daß die Ausgaben sich noch im Rahmen dessen bewegen, was die Regierung im Haushaltsplan 1998 für die Schadensbekämpfung vorsah. Falls die Regenfälle weitergingen, müßte eben an anderer Stelle gespart werden, um Geld zur Schadensminimierung lockerzumachen.

Im Nachbarland Bolivien hat El Niño bisher ebenfalls über 100 Tote gefordert. Mehr als 78.000 Campesino-Familien haben schwere Verluste an Hab und Gut erlitten. Die meisten von ihnen leben im Westen des Landes, wo wegen der Dürre sämtliche Pflanzen vertrocknet sind. Daher flüchten viele Campesinos in die Städte, weil ihnen auf dem Land nichts mehr geblieben ist. Wegen der Trockenheit stieg in der Provinz Cochabamba die Unterernährung, gleichzeitig zerstörte die Trockenheit dort etwa 60 Prozent der Anbauflächen.

Die derzeitige Dürreperiode ist die schlimmste seit den 40er Jahren. In den Städten La Paz und El Alto besteht außerdem Choleragefahr, wegen der schlechten Hygienebedingungen, die mit der Armut einhergehen.

Im Agrarbereich wird mit Verlusten in Höhe von 20 Millionen Dollar gerechnet. Allein in Potosi, einer der ärmsten Provinzen des Landes, sind 80 Prozent der Quinua-Produktion vertrocknet. Quinua ist ein Getreide aus den Anden, das dort zu den Grundnahrungsmitteln gehört. „Die Dürre hat die Möglichkeiten des Agrarjahres in Bolivien zerstört oder zumindest das erste Semester“, bedauerte der Verteidigungsminister, Fernando Kieffer. Viele Campesinos beschweren sich, daß sie von der ihnen versprochenen staatlichen Hilfe noch keinen Pfennig gesehen haben.

In Ecuador starben in den vergangenen 100 Tagen 130 Menschen bei Überschwemmungen und Unwettern, 20.000 mußten evakuiert werden. Wegen der Überschwemmungen entstand ein Sachschaden von 1,35 Milliarden Mark.

Langsam soll El Niño allerdings die Puste ausgehen. Wie das Peruanische Meeresinstituts (IMARPE) mitteilte, sei El Niño langsam wieder auf dem Rückmarsch. Der bisher schwerste El Niño von 1983 forderte insgesamt 2.000 Tote und verursachte Sachschäden in Höhe von zirka 13 Milliarden Dollar.