Darum ist es am Rhein so schön

■ Das Ergebnis der Landtagswahl in Niedersachsen war fast eine Nebensache, die Latte wurde schon vor dem Sprung höher gelegt. Heute wird die SPD-Führung den gestrigen Wahlgewinner Gerhard Schröder offiziell zum Kanzlerkandidaten küren. Der hatte seinen Kurs ohnehin klar bestimmt

Um 18.31 Uhr erreichte der Jubel in der Bonner Parteizentrale der SPD ihren Höhepunkt. „Morgen wird Gerhard Schröder der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten sein“, sagte Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering und verblüffte mit dieser Ankündigung die Anwesenden, die erst am nächsten Morgen mit der Verkündung des Kanzlerkandidaten gerechnet hatten.

„Aber hallo“, „Jaah“, „das war der Elfer“ und mit minutenlangem rhythmischem Klatschen reagierten die von dieser raschen Entscheidung beglückten Sozialdemokraten. Bereits eine halbe Stunde nach der ersten Hochrechnung war klar, was nach der ursprünglichen Strategie erst am 16. März und nach der neuesten Beschlußlage auf der Präsidiumssitzung heute entschieden werden sollte. Ungewöhnlich gelöst brachte der ansonsten so spröde wirkende Mütefering die Anwesenden ein ums andere Mal zum Jubeln. „Die Ära Kohl geht mit diesem Ergebnis zu Ende“, sagte er und heimste einen Lacher ein, als er anfügte: „Kohl hat gesagt, die Niedersachsen müßten ein wichtiges Signal geben. Das hat er nun.“

Der einzige Wehmutstropfen in der ausgelassenen Stimmung waren die Hochrechnungen für die FDP. Wenn Pfiffe und Buhrufe laut wurden, war auch ohne Blick auf einen der Bildschirme im Ollenhauer-Haus klar: Das ZDF hatte die FDP wieder einmal bei 5,0 Prozent gesehen, während die ARD die Liberalen schon ab der zweiten Hochrechnung konstant unter fünf Prozent ansiedelte. Kaum einer der Sozialdemokraten hatte mit einem solch guten Ergebnis gerechnet, dem besten für die SPD in Niedersachsen seit 1947.

So auch Heidemarie Wieczorek-Zeul. Das Ergebnis interpretierte sie als eindeutiges Signal: „Kohl geht weg.“ Parteisprecher Michael Donnermeyer war „erstaunt“ über dieses „Superergebnis.“ „So ein super Feeling“ habe er schon lange nicht mehr gehabt, sprudelte es aus ihm heraus. „Wir haben alles richtig gemacht. Gut, daß wir die Kandidatenfrage bis heute offengelassen haben. Jetzt haben wir eine Mobilisierungswirkung.“ Überhaupt gab es kaum einen, der an diesem Abend nicht von Mobilisierung sprach. Selbst einer der anwesenden Bündnisgrünen mußte eingestehen: „Schröder hat gezeigt, daß er mobilisieren kann. Das wird auch bei der Bundestagswahl nicht anders sein.“

In der Bonner CDU-Zentrale dagegen gingen ermutigende Parolen eher daneben. Generalsekretär Peter Hintze hatte mit seiner Wahlanalyse einen ungewollten Lacherfolg: „Lafontaine ist der Verlierer dieser Wahl“, verkündete er vor laufenden Kameras, während daneben auf den Fernsehschirmen Hochrechnungen die SPD bei inzwischen weit mehr als 48 Prozent ansiedelten.

Ein bißchen mehr wollten die Journalisten aber doch wissen. Ob das schlechte Abschneiden der CDU in Niedersachsen nicht auch ein Votum gegen Bundeskanzler Helmut Kohl sei, der sich dort immerhin sehr stark gemacht habe? Das beantwortete der Generalsekretär langatmig mit heftigen Angriffen auf die SPD. Der „Termincoup“ der SPD habe die Landtagswahlen massiv beeinflußt. Der Wahlkampf sei an die Stelle einer SPD-Mitgliederbefragung gerückt. Dann ging Hintze aber noch auf Kohl ein: Eine neue Kandidatendebatte in der Union schließe er „definitiv“ aus. „Es gehört zu den Erfolgsgeheimnissen von Helmut Kohl, daß er nicht alle Umfragen, aber alle Wahlen gewonnen hat.“

Ähnlich äußerte sich am Rande der CDU-Wahlveranstaltung Verteidigungsminister Volker Rühe. Das Ergebnis spreche nicht gegen Kohl. In Niedersachsen sei es am Schluß nicht mehr um Landtagswahlen gegangen, sondern um ein „Plebiszit über den Kanzlerkandidaten der SPD“. Für die Union bedeute der Ausgang, „daß wir eine schwierige Lage haben und jetzt hart kämpfen müssen“.

Die Bündnisgrünen schienen unterdessen auf ihrer Wahlveranstaltung in Bonn nicht recht zu wissen, ob sie sich freuen oder enttäuscht sein sollten. Die Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer führte die leichten Verluste der Partei auf „strategische Überlegungen“ der Wähler zurück. Die hätten „ihre Chance ergriffen“, über den Kanzlerkandidaten der SPD zu entscheiden.

Optimistisch äußerte sich ihr Fraktionskollege Volker Beck: „Ich glaube, daß man mit Schröder eher die Bundestagswahlen gewinnen kann.“ Ihm sei „eine schwierige Koalition“ lieber, „als daß wir weiter mit der SPD in der Opposition unsere gute Zusammenarbeit fortsetzen.“

Fraktionssprecherin Kerstin Müller zeigte sich „ein bißchen enttäuscht“, vermochte dem Ausgang aber auch etwas Positives abzugewinnen: „Ich bin froh, daß das Gezerre um die SPD-Kanzlerkandidatur endlich vorbei ist.“ Aufgabe ihrer Partei sei es jetzt, „alles links von der Mitte zu mobilisieren.“ Markus Franz/Bettina Gaus, Bonn