Na also!

■ Gerhard Schröder kann Kanzler Helmut Kohl herausfordern: Nach einem hohen Stimmengewinn der SPD in Niedersachsen erklärt ihn Parteichef Lafontaine zum Kanzlerkandidaten. CDU wehrt sich nach Stimmenrückgang gegen Diskussion um die Rolle Kohls. Grüne verlieren leicht, hoffen aber auf Rot-Grün in Land und Bund.

Berlin (taz) – „Die Ära Kohl ist zu Ende.“ Gelassen zog Gerhard Schröder gestern abend diese Bilanz eines Wahltags, der der niedersächsischen SPD einen sensationellen Stimmenzuwachs und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten seine Nominierung als SPD-Kanzlerkandidat eingebracht hatte. Eine halbe Stunde nur hatte es nach Schließung der Wahllokale gedauert, dann hatte nach den ersten Hochrechnungen SPD-Geschäftsführer Müntefering unter dem Jubel der Genossen in Bonn verkündet: Gerhard Schröder wird gegen den Kanzler antreten. Dies werde Parteichef Oskar Lafontaine heute dem Parteivorstand vorschlagen. Schröder selbst schilderte genüßlich vor den Kameras, wie ihn Lafontaine telefonisch von dieser Absicht in Kenntnis gesetzt und gefragt habe, ob er die Nominierung annehme. „Das habe ich natürlich bejaht, wie nicht anders zu erwarten.“

Gerhard Schröder hat die schnelle Entscheidung den Wählern seines Landes zu danken: Sie haben – nach den Hochrechnungen am Abend – eine deutliche Entscheidung getroffen. Mit rund 48 Prozent der Stimmen konnte die SPD sensationell um fast 4 Prozent gegenüber der Wahl 1994 zulegen, ein Ergebnis, das „ich in meinen kühnsten Träumen nicht erhofft habe“, wie Schröder gerührt gestand.

Die CDU dagegen verlor rund ein halbes Prozent und kam nur auf knapp 36 Prozent. „Das schmerzt“, sagte ein betrübter Spitzenkandidat Christian Wulff. Das muß auch den Kanzler schmerzen. Kohl selbst hatte sich im Niedersachsen-Wahlkampf heftig engagiert. Die Stagnation der CDU ist so auch für ihn persönlich eine Niederlage und ein böses Omen für die Bundestagswahl am 27. September. CDU- Generalsekretär Hintze und sein CSU- Kollege Protzner beeilten sich zu erklären, nach diesem Ergebnis gebe es keine neue Diskussion in der Union um den Kandidaten Kohl.

Auch die Grünen verloren nach Hochrechnungen wenige Zehntel gegenüber der letzten Wahl. Sie kamen auf 7 Prozent. Potentielle Grünen-Wähler haben ein Votum für die SPD vorgezogen, um Schröder als Kanzlerkandidaten ins Rennen zu schicken. Die grüne Spitzenkandidatin Rebecca Harms sprach geradezu von einem „Plebiszit“ der Wähler gegen Oskar Lafontaine. Grünen-Sprecher Jürgen Trittin zeigte sich gedämpft optimistisch: „Immerhin ist in diesem Land jetzt eine rot- grüne Regierung möglich. Warten wir's ab.“ Und, so Trittin, das Ergebnis sei ein gutes Ergebnis für die Bundespolitik. Die Wähler in Niedersachsen wollten Kohl eine „Ohrfeige“ erteilen, die Chancen für eine rot-grüne Bundesregierung stünden jetzt gut. Mit Schröder sei eine solche Koalition sicher besser zu erreichen als mit Oskar Lafontaine, sagte Trittin, der in Niedersachsen als Minister mit Schröder gearbeitet hatte.

Trittins Hoffnung für Rot-Grün im Land lag auch im möglichen Abschneiden der FDP. Sie lag bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe bei 4,9 Prozent, das heißt, sie hatte noch Chancen, wieder in den Landtag einzuziehen, aus dem sie 1994 mit 4,4 Prozent flog. In diesem Fall hätte die SPD trotz des großen Zuwachses keine absolute Mehrheit im Landesparlament.

Die beiden Spitzenmänner der Sozialdemokraten, Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, hatten sich lange mit Stellungnahmen zurückgehalten. Als Schröder gegen 19.30 Uhr endlich vor die Kameras kam und das ZDF aus der mit den Generalsekretären der Parteien besetzten „Bonner Runde“ sofort live nach Hannover schaltete, kam es zum Eklat: Die Koalitionsvertreter verließen beleidigt den Raum. Lafontaine hatte schon nachmittags den sein Haus belagernden Medienvertretern gutgelaunt mit Söhnchen auf den Schultern erklärt, er gebe keine Pressekonferenz. Daran hielt er sich; immerhin bestätigte er: „Gerhard Schröder ist jetzt der Kanzlerkandidat.“ Ein Hickhack zwischen ihm und Schröder habe es nie gegeben. Schröders Erfolg sei ein „bombiges Ergebnis“. ci

Tagesthema Seite 3, Medien Seite 14