Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

...hat verloren. Dabei standen die Zeichen günstig: Im Vorjahr war beim Grand Prix d'Eurovision de la Chanson mit dem Isländer Paul Oscar erstmals ein offen schwuler Sänger ins Rennen gegangen. Und am letzten Donnerstag sollte mit Peter Plate vom Duo Rosenstolz auch hierzulande gleiches geschehen: ein Schwuler, der Deutschland im Mai in Birmingham vertritt und damit das Festival endgültig zu sich selbst bringt. Schließlich ist der musikalische Länderkampf seit langem schon Teil einer schwulen Kultur und als Feiertag von fast gleicher Bedeutung wie der Christopher Street Day.

Doch jetzt ist alles anders. Die Niederlage konnte schmählicher nicht sein. Nicht nur, daß mit Guildo Horn ein Mann gewonnen hat, dessen optische Erscheinung mit keiner Geschmacksfrage mehr zurechtgerückt werden kann, nein, mit seinem Sieg hat die ganze heterosexuelle Lebensweise ihre Vormachtstellung wieder einmal behauptet. War der Schlager bislang bügelnden Hausfrauen und einsamen homosexuellen Männern vorbehalten, schickt sich mit Horn & Co. die verdammte Mehrheit an, dem musikalischen Sentiment sein Brachialverständnis überzustülpen. „Wir wollen unseren Spaß haben“, blökt der Meister von der Bühne und in jedem Interview, und „Piep, piep, piep“. Dazu schunkelt die Masse, kramt die Feuerzeuge raus und grölt, grölt, grölt. Die Medien feiern das Phänomen als Comeback des deutschen Schlagers und die fettigen Haare des Meisters als subkulturellen Kommentar eines längst verloren geglaubten Genres. So als sei Lätta die moderne Version der deutschen Markenbutter.

Der Hornsche Sieg beim Vorentscheid war ein Tritt für alle, die mit dem Schlager leben. Auch wenn wir wissen, daß der Triumph des pubertierenden Neokitsches vor allem einer konzertierten Aktion der Bild-Zeitung mit einem cleveren Management zu verdanken ist, ist der angerichtete Schaden auf lange Zeit nicht wiedergutzumachen. Dem Meister werden Jünger folgen, die noch schlechter sind als er selbst. Und viele der Repräsentanten der wahren Schlagerwahrheit werden dem Unsinn von der Wiederkehr ihrer Kunst glauben und sich zum Affen machen als Schunkelfredis im Rüschenhemd.

Die Schwulen sehen sich jetzt einer Domäne beraubt, die so lange ihre Heimstatt war für aufgestaute Gefühle und ästhetische Gewißheiten. Wie haben sie Marianne Rosenberg geliebt und Vicky Leandros! Und wie oft mit ihnen nach unsichtbaren Sternen gegriffen, die Hände gen Himmel gebogen, die Tränen zwischen zwei Liedzeilen versteckt. Wie sehr sind sie mit ihnen auf allen Bühnen dieser Welt gestanden, haben sich gleichsam verbeugt bei jedem Applaus und im Geiste die großen Preise entgegengenommen und die kleinen, voll Grazie, Demut und Bescheidenheit. Dafür gab es den Schlager und den Grand Prix und die zwölf Punkte aus Zypern und ganze null aus Österreich.

Dieser Verlust ist unaussprechlich: Aber kein schwuler Mann wird ernsthaft einem Guildo Horn die Daumen drücken. Die Bildschirme in allen schwulen Haushalten werden blind sein, wenn am 9.Mai der Herausforderer in Birmingham auf der Bühne erscheint. Statt dessen wird Mary Roos erklingen: „Nur die Liebe läßt uns leben!“ Und alles wird wieder gut für einen Moment.