Press-Schlag: „Die Zunge abbeißen“
■ Herthas 1:1 gegen Hansa Rostock zeigt, daß beide das Wort Uefa-Cup zu Recht tabuisieren
Rund dreihundert Kilometer nordöstlich von Deutschlands Bundeshauptstadt entfernt, im mecklenburgischen Rostock, finden sich neuerdings die Sportjournalisten der Lokalzeitungen zusammen, um in Podiumsdiskussionen eine essentielle Frage zu erörtern. Darf man öffentlich darüber diskutieren, ob eine Bundesligamannschaft das Wort Uefa-Cup aussprechen darf, oder nicht? Diese Begebenheit jedenfalls schilderte Trainer Ewald Lienen nach dem Spiel seines Teams Hansa Rostock beim Ligakonkurrenten Hertha BSC Berlin.
1:1 endete die Partie vor einer beeindruckenden Kulisse von 71.018 Zuschauern, die trotz Regen, Schnee und eiskaltem Wind ins Berliner Olympiastadion kamen, um unter Flutlichtscheinwerfern ihre Lieblingsvereine anzufeuern.
Es ging um den Uefa-Cup. Behaupteten zumindest einige Medien vor dem Spiel, was so natürlich nicht stimmt. Es handelt sich um zwei Mannschaften, die vor Saisonbeginn den Nicht- Abstieg als klares Ziel definierten, nun aber den fünften Platz nicht allzuweit vor sich sehen.
Dementsprechend euphorisch geben sich momentan Fans und Medien beider Städte. Die Spieler wollten dem natürlich in nichts nachstehen, weshalb am Sonntag abend mit offensichtlich großem Einsatz rustikal um jeden Ball gekämpft wurde.
Bei näherer Betrachtung wurde aber anschaulich, daß die Diskussion um den Uefa-Cup von den Klubverantwortlichen beider Teams zu Recht tabuisiert wird. Hertha, das sich plötzlich in der Situation wiederfand, erstmals vier wichtige Spieler, zudem allesamt Defensivkräfte, aufgrund Verletzung (Rekdal, Herzog, Sverrisson) oder Gelbsperre (Karl) ersetzen zu müssen, zeigte deutliche Schwächen im Abwehrverbund. Libero van Burik, wenngleich durch Fieber geschwächt, offenbarte vor allem anfangs Unsicherheiten, so daß Hertha-Trainer Jürgen Röber befürchtete, ihn „rausnehmen zu müssen“.
Sechs Minuten nach Preetz' Führungstreffer (52.) patzte Andreas Schmidt, so daß der Rostocker Stürmer Barbarez auf Hertha-Torwart Kiraly zulaufen und den Ball nach einer geschickten Umkurvung ins leere Tor schieben durfte. Auch der frühe Ausfall von Andreas Thom, der mit Achillessehnenbeschwerden vom Platz humpelte, verbesserte nicht gerade das Leistungsgefüge der Mannschaft, weshalb der Kampf fortan auch das dominierende Mittel zum Zweck wurde.
In dieser Situation zeigte sich einmal mehr, woran es der Hertha vor allem fehlt. Das Potential, Leistungsträger über längere Dauer adäquat ersetzen zu können, scheint nicht ausreichend. Kurzfristig mag die Kampfeslust der Reservespieler über dieses Manko hinwegtäuschen, langfristig aber bleibt zu bezweifeln, ob Hertha das Niveau der letzten Spiele halten kann. Gleiches gilt für Rostock, dessen Spiel stark von drei, vier Leistungsträgern geprägt wird. Sollten die ausfallen, könnte sich das fehlende Ersatzpotential ebenfalls negativ bemerkbar machen – und zwar sehr schnell.
Hertha, das nunmehr mit 33 Zählern auf Platz acht der Tabelle steht, bleibt bescheiden und proklamiert weiter klug den Nicht-Abstieg.
Alle Spieler sind anscheinend geeicht und geben wie Christian Fährmann auf Anfrage die standardisierte Antwort, daß noch exakt sieben Punkte fehlen, um das Saisonvorhaben zu erreichen. Wer in Berlin auf dem Thema Uefa-Cup herumreitet, dem dürfte es wohl bald wie den Journalisten in Rostock ergehen. Die sprechen ihren Cheftrainer wohlweislich nicht mehr auf das Thema an. Sie würden sich nämlich sonst, sagt Ewald Lienen, „die Zunge abbeißen“. Gerald Kleffmann
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