Herausforderung für Israels Präsidenten

■ Morgen wird in Jerusalem der Staatschef gewählt. Amtsinhaber Weizman galt bisher als unangefochten. Dann tauchte Shaul Amor auf

Jerusalem (taz) – Bis vor wenigen Wochen galt er als unschlagbar. Und auch einen Tag vor der morgigen Wahl gilt er immer noch als Favorit. Doch Israels amtierender und durchaus populärer Präsident Eser Weizman hat einen Konkurrenten bekommen, dessen Beliebtheit quer durch die politischen Lager geht. Shaul Amor, seit 1988 Mitglied der Knesset und Vorsitzender des Sozialausschusses, war bislang ein eher unauffälliger Politiker. Schlagzeilen machte er erst, als ihn die Regierungskoalition im vergangenen Monat zum Kandidaten kürte.

Seither sind die Lobbyisten in der Knesset im Einsatz, um ihrem Kandidaten eine Mehrheit zu sichern. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird nachgesagt, daß er alles daran setzt, den eigenen Kandidaten durchzubringen. Und das nicht zuletzt, weil er die mitunter markige Kritik Weizmans an der israelischen Regierungspolitik schlicht satt hat. Obwohl der Präsident in Israel nur eine repräsentative Funktion ausüben soll, gilt Weizman als „politischer“ Präsident. Der ehemalige Luftwaffengeneral, mehrfach Minister in verschiedenen Regierungen sowohl als Mitglied des Likud als auch seiner eigenen Yahad- Partei, scheute selbst vor Kritik an der Friedenspolitik des früheren Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin nicht zurück.

Shaul Amor gilt demgegenüber als besonnen, freundlich und versöhnlich. Der 57jährige wurde in einem kleinen Dorf in Marokko geboren. Sein Vater wurde angeblich bei einem Pogrom getötet, nach anderen Angaben verstarb er, als Amor drei Jahre alt war. Im Alter von 16 Jahren wanderte Shaul Amor nach Israel aus. Von Beruf Sozialarbeiter, engagierte er sich vor allem für die Benachteiligten in der Gesellschaft. Als Bürgermeister des kleinen Ortes Migdal Ha'emek in Galiläa ist er sehr populär. „Meine Tür ist offen für jedermann“, sagt er.

Amor positioniert sich in der Mitte des politischen Spektrums. Die Arbeitspartei verließ er, weil ihm deren „politischer Sozialismus“ zu viele „diktatorische Züge“ hatte. Obwohl Likud-Mitglied, haben die arabischen Abgeordneten der Knesset angekündigt, daß sie für Amor und gegen Weizman stimmen werden. Das nicht zuletzt, weil Amor den Friedensprozeß im Prinzip unterstützt und für ein jüdisch-arabisches Miteinander eintritt.

Amors Kandidatur hat merkwürdige Allianzen hervorgebracht. Während Jerusalems Likud-Bürgermeister Ehud Olmert offen gegen den eigenen Kandidaten und für eine zweite Amtszeit Weizmans plädiert, hat sich Leah Rabin, die Witwe des ermordeten Ministerpräsidenten, auf die Seite Amors geschlagen. Der Vorsitzende der Arbeitspartei, Ehud Barak, steht dagegen zu Weizman, und das Zentralkomitee der Partei verdonnerte alle Abgeordneten dazu, für Weizman zu stimmen. Georg Baltissen