Weniger Nachsicht mit Rauschtätern

■ Bisher galt die Regel: "Je mehr Alkohol geflossen ist, desto geringer die Strafe." Jetzt urteilt der Bundesgerichtshof unnachsichtiger, und der Bundesrat will die Gesetzeslage verschärfen. Vorbild DDR: K

Freiburg (taz) – Der Karneval ist vorbei. Die Polizei hat die im Suff begangenenen Schlägereien und Messerduelle gezählt, und die Justiz kann in ein paar Monaten beginnen, die unter Alkoholeinfluß verübten Taten strafrechtlich aufzuarbeiten. Geht es nach dem Willen des Bundesrats, werden schwere Rauschtaten bald härter bestraft, als es bislang der Fall war.

Nur wenn ein Täter während der Tat „schuldfähig“ war, kann er auch zur Verantwortung gezogen werden, sagt das Strafgesetzbuch. An der Schuldfähigkeit mangelt es jedoch bei einem durch Alkohol oder andere Drogen verursachten starken Rausch. Deshalb wollen überführte Straftäter zur Tatzeit in der Regel möglichst betrunken gewesen sein. Sie kennen die Formel: Je mehr Alkohol geflossen ist, desto geringer die Strafe. Ab zwei Promille Alkohol im Blut ist die Schuldfähigkeit vermindert, ab einem Wert von drei Promille ist man meist völlig schuldunfähig. So lautete bis voriges Jahr die Faustregel.

In den Augen des Bundesgerichtshofs (BGH) kamen betrunkene Täter zu gut davon. Im letzten Mai änderte das oberste deutsche Strafgericht deshalb seine Rechtsprechung. Gerade bei trinkgewohnten Menschen könne die Steuerungsfähigkeit auch im Bereich zwischen zwei und drei Promille noch uneingeschränkt gegeben sein, so der BGH. Deshalb sollen die Gerichte künftig in diesem Bereich ihrem Urteil nicht nur den (errechneten) Alkoholpegel zugrunde legen, sondern auch andere Indizien beachten. Wer planvoll handelte, beim Gehen nicht schwankte und beim Reden nicht lallte, dürfte es ab jetzt schwerer haben, schon wegen hohen Bierkonsums einen Strafnachlaß zu bekommen.

Keine Änderung bringt die neue Rechtsprechung aber im Falle eines richtigen Vollrauschs, wenn der Täter also nicht nur vermindert, sondern gar nicht schuldfähig war. Grundsätzlich ist eine Bestrafung wegen der begangenen Tat dann ausgeschlossen. Das Strafgesetzbuch bietet nur einen Ausweg; die Bestrafung wegen „Vollrausches“ im Paragraph 323a. Bis zu fünf Jahren kann hinter Gitter landen, wer sich vorsätzlich oder fahrlässig „in einen Rausch versetzt“ und dann in diesem Zustand Straftaten begeht, die wegen dieses Rauschs nicht bestraft werden können.

Als unbefriedigend gilt diese Rechtslage vor allem, wenn im Suff schwerste Straftaten wie Mord und Totschlag begangen werden. Während für den Totschlag eine Höchststrafe von 15 Jahren vorgesehen ist, liegt beim Vollrausch das Limit bei besagten fünf Jahren. Die ehemalige Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) fand diese Divergenz „nicht länger hinnehmbar“ und startete eine Gesetzesinitiative. Wer im Rausch eine „schwerwiegende Tat“ begeht, soll künftig bis zu zehn Jahre dafür büßen. Im letzten Oktober hat der Bundesrat den Berliner Antrag übernommen, und auch die Bundesregierung hat bereits Unterstützung signalisiert.

Die Berliner Initiative findet um so mehr Interesse, als der Bundesgerichtshof 1996 ein anderes Instrument weitgehend entwertet hatte, mit dem man stark betrunkene Täter doch noch länger als fünf Jahre einbuchten konnte. Der BGH erklärte die Rechtsfigur „actio libera in causa“ (vorverlegte Verantwortlichkeit) für bestimmte Deliktsgruppen für verfassungswidrig. Mit dem Motto „Die Tat beginnt, wenn der nüchterne Täter anfängt, sich zu betrinken“ habe die Rechtsprechung zu offensichtlich den Wortlaut und Willen des Gesetzes ignoriert, argumentierten die BGH-Richter. Genau diese Konstruktion hatte das Gericht allerdings jahrzehntelang gebilligt, um Rauschtäter härter verurteilen zu können. Ehemalige DDR-Bürger haben für solche Diskussionen ohnehin kein Verständnis. Im Strafrecht der DDR gab es für Rauschtäter keinen Strafnachlaß. War der Rausch selbst verschuldet – und das dürfte wohl die Regel sein –, wurde der Straftäter bestraft, als ob er nüchtern gewesen wäre. Ein stark betrunkener Vergewaltiger konnte also trotz seines Rauschs wegen dieses Delikts verurteilt werden.

Wie so vieles wurde diese Regelung nach der Wiedervereinigung ungeprüft abgeschafft. Inzwischen preisen aber auch im Westen sozialisierte Juristen die DDR-Regelung als „kriminalpolitisches Vorbild“, unter ihnen der Generalstaatsanwalt von Brandenburg, Erardo Rautenberg. Er verweist auf das Unverständnis der Bevölkerung, wenn sich rechtsradikale Skinheads nach ihren Anschlägen einfach auf Alkoholexzesse berufen können.

Die Berliner Gesetzesinitiative wird demnächst im Rechtssausschuß des Bundestags beraten. Ein schneller Erfolg ist trotz der bisher breiten Untstützung unwahrscheinlich – denn vielen Gleichgesinnten geht sie einfach nicht weit genug, sie würden die strengere DDR-Regelung vorziehen. Christian Rath