Kritische Fragen nur aus der zweiten Reihe

■ Die CDU demonstriert Geschlossenheit und Kampfeslust, doch hinter den Kulissen regen sich Kritiker: Die Partei stehe inhaltlich nicht gut da

„Es gab keine diesbezügliche Wortmeldung“, beschied der Bundeskanzler einem Journalisten knapp. Der hatte wissen wollen, ob auf der CDU-Vorstandssitzung nach der verheerenden Niederlage bei den Wahlen in Niedersachsen erwogen worden sei, mit einem anderen Kanzlerkandidaten als Helmut Kohl in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Keine Rede davon. Die Spitzenpolitiker der Union bemühten sich gestern um demonstrative Geschlossenheit. Die inhaltliche Logik blieb dabei allerdings auf der Strecke.

So schalt der gescheiterte niedersächsische CDU-Spitzenkandidat Christian Wulff Wahlsieger Schröder einen „Zeitgeistsurfer“ — und lobte im gleichen Atemzug seine eigene Partei dafür, daß sie „vor allem auch modern gekämpft“ habe. Helmut Kohl beklagte, daß die niedersächsische Landespolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt habe. Schon im nächsten Satz warf er dann dem SPD-Kandidaten vor, Themen „wie Euro, Außen- und Sicherheitspolitik“ ausgewichen zu sein. Verkehrsminister Matthias Wissmann geißelte Schröders Konzeptionslosigkeit und Inhaltsleere. Warum der dann so erfolgreich gewesen sei, wollte einer wissen. „Ja, das ist eine gute Frage“, erwiderte Wissmann verblüfft.

Hauptsache gemeinsam, hauptsache kämpferisch — der Rest wird sich finden. Dieses Credo schien gestern die Spitzenpolitiker der Union miteinander zu verbinden. Kanzler Kohl blieb unterdessen strikt auf dem Kurs, den er wohl auch gegenüber Oskar Lafontaine eingeschlagen hätte: Um eine „Richtungswahl“ gehe es im September. Auf der einen Seite trete die Regierungskoalition an, auf der anderen Seite Rot-Grün. Die Union müsse nun alles tun, „um mit allen Kräften Rot-Grün zu verhindern“. Lagerwahlkampf ausgerechnet gegen Gerhard Schröder?

Es bleibt abzuwarten, ob der Aufruf zur Geschlossenheit schon reicht, um Enttäuschung und Frustration in der Partei abzubauen. Immerhin hat die CDU am Sonntag in Niedersachsen mit 35,9 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis seit fast 40 Jahren erzielt. Und der Bundeskanzler hatte sich mit neun Auftritten stark engagiert, nicht zuletzt deshalb, um sich auf Bundesebene mit seinem Wunschgegner Oskar Lafontaine auseinandersetzen zu dürfen. Der Regierungschef hat hoch gepokert und verloren.

Nicht offiziell, natürlich. Vor Kameras und Mikrofonen sagten Spitzenpolitiker das, was von ihnen erwartet wurde. Arbeitsminister Norbert Blüm schloß eine neue Diskussion über den Kanzlerkandidaten der Union ebenso aus wie der stellvertretende CDU- Vorsitzende Christoph Bergner. Auch aus München kam Unterstützung: Eine Kandidatendiskussion gibt es nicht, auf gar keinen Fall, erklärte der CSU-Parteichef Theo Waigel. Ahnungsvoll warnte sein Parteifreund, Gesundheitsminister Horst Seehofer, die Hauptkritiker christdemokratischer Politik dürften nicht aus den eigenen Reihen kommen. Tun sie aber. Hinter den Kulissen rumort es wieder einmal. Inhaltlich wie personell stehe die Bundesregierung derzeit nicht gut da, war gestern aus Kreisen der CDU in Bonn zu hören. Allerdings sei es völlig offen, ob ein personeller Wechsel an der Spitze jetzt noch hinzubekommen sei. Eigentlich gehe das nur, wenn Kohl von sich aus zu dem Ergebnis komme, daß es höchste Zeit für einen Wechsel sei.

Politiker aus der zweiten Reihe wagten sich noch ein bißchen weiter nach vorne. Schleswig Holsteins CDU-Vorsitzender Würzbach erklärte höflich, Kohl habe das erste Wort bei der Frage, ob er Kanzlerkandidat bleiben solle. Dann jedoch sagte er unmißverständlich: „Daß ich es kritisch sehe und auch kritische Fragen erwarte, das will ich allerdings sehr klar hinzufügen.“ Der saarländische CDU-Chef Peter Müller appellierte an seine Partei, nicht zur Tagesordnung zurückzukehren. Die unionsnahe Studentenorganisation RCDS in Bayern hat Kohls Ablösung gefordert: „Ich glaube, daß wir den Bürgern nur schwer 20 Jahre Helmut Kohl verkaufen können“, sagte ihr Landesvorsitzender Volker Ullrich.

CDU-Generalsekretär Peter Hintze setzt da eher auf die Kraft, die aus dem Glauben kommt. „Helmut Kohls ganze Stärke entwickelt sich erst in Bundestagswahlen“, verkündete er gestern. „Die CDU weiß genau, daß Helmut Kohl ihre entscheidende Trumpfkarte ist.“ Bettina Gaus, Bonn