Schröder: Ab durch die Mitte zum Sieg

■ SPD-Vorstand und Präsidium ernennen Gerhard Schröder zum Kanzlerkandidaten der SPD. Der Kandidat will die entscheidenden Stimmen in der „neuen Mitte“ suchen. Ablösen könne man Kohl dann am wahrscheinlichsten mit Rot-Grün

Bonn (taz) – Der neue Kanzlerkandidat der SPD, Gerhard Schröder, hat eine Politik für „die neue Mitte“ angekündigt, die sich entscheidend „an den Mittelstand, die Handwerker und die Entscheidungsträger von Großunternehmen“ wendet. Schröder erklärte sich gestern vor der Presse in Bonn, nachdem er einstimmig vom 13köpfigen Parteipräsidium gegen Helmut Kohl ins Rennen geschickt worden war. Drei Mitglieder des 46köpfigen Parteivorstands enthielten sich bei einer geheimen Abstimmung der Stimme.

Der Wahlerfolg in Niedersachsen sei nur möglich gewesen, weil die SPD keinen Lagerwahlkampf geführt habe, sagte Schröder. Auch Bundeskanzler Kohl habe entscheidend zum Sieg beigetragen, indem er sich selbst massiv in den Wahlkampf eingeschaltet habe. Ein besonderes Lob erteilte Schröder dem Parteivorsitzenden. „Ohne die erfolgreiche Integrationsarbeit von Oskar Lafontaine wäre der Wahlsieg so nicht möglich gewesen.“ Schröder will in den Bundestagswahlkampf mit einem „kleineren Team“ ziehen, in dem möglicherweise auch Nichtparteimitglieder vertreten sind.

Der Kandidat warnte seine Partei vor einer Fixierung auf eine rot-grüne Koalition im Bund. Sonst werde sie scheitern. Sowohl Fragen der Außenpolitik als auch Fragen der Wirtschaftspolitik könnten einen Strich durch die Wahlchancen machen. Andererseits räumte Schröder ein: „Die wahrscheinlichste Ablösungsperspektive in Bonn ist Rot-Grün.“ Die Grünen befürchten dagegen eine große Koalition. Die niedersächsische Spitzenkandidatin Rebecca Harms erinnerte daran, daß Schröder „Seit' an Seit'“ mit der Union für den Großen Lauschangriff eingetreten und in der Asyl- und Ausländerpolitik nach rechts gerutscht sei.

Auch die Anhänger Lafontaines freuten sich gestern. 48 Prozent für Schröder sprächen für sich, egal, wie toll man Schröder nun finde, hieß es. Für die stellvertretende Parteivorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul, die als Anhängerin Lafontaines gilt, war entscheidend: „Die SPD hat wieder Tritt gefaßt, Stärke gewonnen und Profil gefunden.“ Dies sei eine gute Ausgangsposition für die Bundestagswahl. Selbst der Parteilinke Michael Müller, der noch vor kurzem mit einem Strategiepapier indirekt für Lafontaine als Kanzlerkandidat plädiert hatte, mußte anerkennen: Ein Mißerfolg Schröders in Niedersachsen hätte das Ende der SPD-Hoffnungen für die Bundestagswahl bedeutet.

Kohl hatte sich zuvor mit dem niedersächsischen CDU-Vorsitzenden Christian Wulff der Presse gestellt. Die beiden Wahlverlierer versuchten gute Miene zu den bösen Aussichten der Union zu machen. Kohl kündigte einen Richtungswahlkampf an und gab sich kämpferisch: „Wir werden diese Wahl schlagen, wir haben gute Chancen, aber wir werden kämpfen müssen. Ich bin fest entschlossen, diesen Weg zu gehen, mit einem totalen Einsatz von meiner Seite“, erklärte der Kanzler und beendete damit zumindest vorläufig die Spekulationen darüber, ob in der Union eine Debatte um seine Kandidatur aufflammt. Markus Franz

Tagesthema Seiten 2 und 3, Debatte Seite 12