Bunter Kosmos grauer Panther

■ Neu im Kino: „Blond bis aufs Blut“/ Berlinalebeitrag des kultigen Lothar Lambert

Jede zweite „Blond bis aufs Blut“-Frau schwitzt unter einer Perücke. In vom Alter gezeichneten Gesichtslandschaften aus faltigen Mississippideltas und fettpolstrigen Mittelgebirgsformationen suchen sich das lockende Rot und abgründige Schwarz der Schminke selbstbewußt ihren Platz. Und über diesem Gesamtkunstwerk aus harter Realität und dem Traum vom sexy Hollywoodleben residiert eine blonde, hochtoupierte Haarskulptur.

Aber auch ohne Perücken wäre der Film des Berliner Low-budget-Heroen Lothar Lambert ein Aufmarsch der Freaks, wie sie auffällig und doch übersehen durch unsere Straßen flanieren: verloschene Ex-Filmsternchen, die drogensüchtig sind oder gar Krawatten mit Beatles-Köpfen schön finden; Streß-beißerinnen, die glücklich glänzende Augen kriegen, wenn sie anderen Menschen „Somewhere over the rainbow“vorjaulen dürfen ...

Unter diesen Originalen regiert das „Harold & Maude“-Prinzip der skurril-ungleichen Beziehungen. Holger, der Held des Films, schmachtet unter Schmalzhaarlocke nach der verlorenen Welt einstigen Hollywoodglamours. Seine Schultern sind kaum breiter als ein Jugendbuch lang ist. Sein bester Freund Dieter trägt zum globusartigen Fettmonsterschädel eine Baseballkappe, natürlich verkehrt, also richtig herum. Als Paar eine eigenwillige Ausgabe von Dick und Doof. Holgers Mutter gibt sich beim Telefonsex piepsend mal als viereinhalb-, mal als zwölfjährige „Lolita“aus und angelt sich mit dieser Methode einen ganz lieben, ganz schüchternen Mann. Er ist halb so alt wie sie, dafür doppelt so groß. Die Botschaft des schund- und schmuddelverliebten Lothar Lambert ist klassisch-humanistisch: Liebt die Menschen mit all ihren Macken und Spleens. Schließlich sind wir alle Außenseiter.

Ganz und gar nicht klassisch schlingert die Form des Films herum. Das Timing ist schlichtweg eine beglückende Katastrophe. Es (genauer: freudsches ES) schwenkt ohne Vorwarnung um von einer liebevollen Gesellschaftsstudie in ein ebenso liebevolles Massengiftmorden. Davor zeigt Lothar Lambert eine Stunde lang kleine, nur locker verknüpfte Szenen aus dem Umkreis eines Autogrammjäger-Clubs.

Man sieht – die romantischste Szene des Films – wie Holger mit einem Damentigerschuh in der freien Natur aufs Zarteste schmust oder wie Holgers alte Mutter ohne rechte Freude für ihn und Dieter ein Sambatänzchen in Fransenshirt und Hot pants hinlegt. Das Blau und Gelb ihrer Klamotten mischt sich entzückend mit dem braunen Blümchenmuster der Wohnzimmertapete. 50er Jahre-Filmposter peppen altbackene Jugendzimmer auf. Und immer wieder schweben zwischen den schönen, blauweißen Berliner Küchenkacheln glibbrige Mischtöne, ein lila Bademantel oder ein lindgrüner seidiger Morgenmantel. Anders als Rosa von Praunheim sucht Lambert nicht das offensichtlich schrille Outfit, sondern die verborgene Schrillheit in der ganz normalen Welt Berliner Kellerboutiquen oder Wohnungen jenseits der Designkataloge. Schwulsein ist hier außerdem nur eine unter vielen Formen des „Anders als die anderen“-Sein.

Der Film ist „allen echten und falschen Blondinen“gewidmet. Hymnisch zitiert er zu Beginn den „zentralen Satz“eines Hollywood-Films mit Lex Barker und der Blondine Gloria Mundi, Ruhm der Welt: Man soll mich nicht so lieben, wie ich bin, sondern so, wie ich gerne sein möchte. Eine Einladung zum hemmungslosen Träumen.

Lothar Lambert spielt in seinem 27. Film selber mit; perverserweise als der einzige „Normale“. Eine bescheuerte Nachbarin fragt ihn, ob nicht auch er bei den „Grauen Panthern“eintreten will. „Das hat noch ein bißchen Zeit“, meint der 53jährige. Meinen wir auch.

Barbara Kern

Kino 46, Do, 5. März, 20.30 Uhr; Fr und Sa 22.30 Uhr