■ Nachschlag
: Schröder der Dichtkunst: Robert Gernhardt in der Bar jeder Vernunft

Das Leben wird nicht billiger. 33 Mark kostete der Eintritt zur Lesung mit Robert Gernhardt, dem sechzigjährigen Veteran und erfolgreichsten Vertreter der in die Jahre gekommenen Neuen Frankfurter Schule.

Links neben mir saß ein Mann von der Welt, rechts eine Besucherin, die Gernhardt stets auf ihrem Nachttisch liegen hat. Jemand sagte, früher hätte er auch immer gern die Titanic gelesen, jetzt nicht mehr so. Dann steckte sich der Kollege von der Zitty eine Zigarette an, weil er Stammgast in der Bar jeder Vernunft ist und dem Chef, Holger Klotzbach, zuvorkommen wollte, der dann darum bat, doch jetzt bitte das Rauchen einzustellen und auch die Handys auszuschalten. Außerdem sei die Veranstaltung von Rowohlt gesponsert (leiser Protest, kicher, kicher), ich wollte sagen: „Fischer.“ „Fischer- Taschenbuch.“ Und Bärenquell und Kaiser's.

Irgendwo saß eine Delegation des Kaiser's-Kundenclubs in lustigen Kostümen. Als Robert Gernhardt, begleitet von Cello- und Klaviermusik, die Bühne betrat, notierte ich mir: „Robert Gernhardt ist der Gerhard Schröder der Dichtkunst.“ Wohl auch, weil Gernhardt den ersten Roman der sogenannten „Toskanafraktion“ geschrieben hatte („ICH ICH ICH“). Das strich ich dann aber gleich wieder, weil Gernhardt mich nun eher an den Anthropologen Michael Rutschky erinnerte bzw. an den Soziologen Dietmar Kamper. Während Eckhard Henscheid immer noch etwas Zwielichtig-Unberechenbares eignet, wirkt Gernhardt eher seriös, altersmilde usw. Die Verse sind sehr schön gebaut, alle drei Sätze gibt es eine Pointe mit dezenter Musikbegleitung, die gern beklatscht wird. Lachend bewegt man sich im Konsens Zeit lesender Sozialdemokratie. Gebildet Satirisches über Städte mit komischen Namen, das vielzitierte Sonett über Sonette von 79, das sich in der Szenesprache von 72 über eben die Szenesprache (=ungebildet) mokierte, worüber „die Gräfin“, in deren Blatt das erschien, „not quite amused“ gewesen wäre, wie Gernhardt erzählte, woraufhin ein Zeit-Leser sich dann in einem Leserbrief beschwerte: „Der Leser der Zeit ist machtlos dem Sonett ausgeliefert und merkt erst beim Lesen, was er liest.“ Hi hi. Paar Sachen, die er mal für Otto geghostwritet hatte, Gedichtchen für junge Eltern in Babysprache, Schülerzeitungsscherze: statt „Zauberberg“ „Zauderzwerg“, statt „Doktor Faustus“ „Doktor Hausputz“ etc. Natürlich auch Hübsches. In einem kleinen Dramolett will jemand eine Fliege morden: „Wir sind schließlich nicht bei Buddhistens / wir sind bei Christens / da wird nachts nicht gesummt / da wird nachts geschlafen.“ Ein vergnüglicher Abend, sagt man so. Detlef Kuhlbrodt