Das Buch Birnstil Von Carola Rönneburg

Viele Journalisten – vor allem die, die nicht nach Tarif bezahlt werden – wechseln irgendwann ins ehemalig feindliche Lager, um sich dort als Pressereferenten oder Werbetexter zu verdingen. Im Moment, so las ich vor kurzem, sind Werbetexter quasi Mangelware.

Glücklicherweise kann ich gar nicht erst in Versuchung geraten, Slogans wie „Hör auf deinen Durst“ erfinden zu wollen – diese Phase meines Lebens ist Vergangenheit. Manchmal aber, wenn ich mich frage, wie sich der Durst wohl anhören könnte – wenn Hunger den Magen knurren läßt, bringt ihn der Durst dann zum Summen? –, erinnere ich mich an die Zeit, in der ich in einer kleinen Werbeagentur so lange über Förderbänder, Computerprogramme oder neuartige Diesel-Außenbordmotoren nachdachte, bis ich die Vorzüge der Produkte klar erkannt und auf wenige Schlagworte gebracht hatte. Die Ergebnisse meiner Arbeit gingen an Herrn Birnstil, den Agenturinhaber, der gern noch ein paar Zeilen wegstrich und neue hinzufügte, was den Text aber nicht unbedingt verbesserte: Herr Birnstil hatte eine seltsame Vorliebe für Sprichwörter entwickelt, die er gern in seinen Werbebotschaften unterbrachte, um einen nicht näher definierten Wiedererkennungswert zu schaffen. Bedauerlicherweise aber war der Sprichwortschatz des Herrn Birnstil im Laufe der Jahre durcheinandergeraten. So beschwerte er sich zum Beispiel einmal, der Layouter habe versucht, eine Fehlleistung „unter den Hund zu kehren“. Ein anderes Mal tröstete er die Sekretärin mit den Worten: „Jeder hat sein Schäfchen zu tragen“, und weil das sogar in seinen Ohren merkwürdig geklungen haben mußte, brachte er den Ausspruch nur wenige Stunden später modifiziert erneut zum Einsatz: Heutzutage wolle einfach jeder nur noch sein Päckchen ins Trockene bringen, klagte Herr Birnstil angesichts einer hohen Rechnung der Druckerei.

Zur großen Krise kam es, als sich zu Birnstil, über dessen Weisheiten (???) ich inzwischen getreulich Buch führte („Pack die Pudelmütze ein, nimm dein kleines Schwesterlein, und dann nüscht wie raus zum Wannsee...“) ein neuer Kunde gesellte. Herr Grimm war nicht nur Werbeleiter seines Unternehmens, er hielt sich auch für den besten Werbetexter, den die Welt je gesehen hatte, nur leider fehlte ihm „die Zeit, das alles selbst zu machen“. Die Zeit, mit der von ihm auserwählten Agentur jedes Wort einer Broschüre zu diskutieren und „spontane Ideen einzubringen“, hatte er jedoch immer.

Herr Birnstil und Herr Grimm verstanden sich gut. Zu gut: Herr Grimm teilte Herrn Birnstils Vorliebe für „die einfachen, ja: vertrauten Sätze, die wir seit unserer Kindheit kennen“. Und darum machten sich die beiden Sprachwissenschaftler daran, den nächsten Katalog gemeinsam und ohne fremde Hilfe zu texten.

Wenn ich die in nächtlichen Sitzungen ersonnenen Werbebotschaften auf Rechtschreibfehler prüfen durfte, äußerte ich beharrlich meine Bedenken, ob man mit „Trau, show, wem“ potentielle Käufer überzeugen würde. Meine Einwände wurden jedoch überhört. Schließlich fügte ich mich in mein Schicksal. Immerhin wurde „Das Buch Birnstil“ so immer dicker. Meine letzte Eintragung, kurz bevor ich den Beruf wechselte, lautet: „Und dazu erläutern wir Ihnen jetzt einige Schokoladenseiten.“