Zwischen Computer und Walzwerk

Der Ärger um seine „Tilted Arc“ scheint vergessen: Richard Serra hat 160 Tonnen Stahl zu barocken Ellipsen ausgewalzt, die nun im New Yorker Dia Center for the Arts gezeigt werden. Serras bislang freundlichstes Werk, eine Mischung aus Ruhe und Präzision  ■ Von Rainer Stamm

In Deutschland ist Richard Serra als designierter Gestalter des Berliner Holocaust-Mahnmals im Gespräch. Selbst Helmut Kohl, bislang kaum als leidenschaftlicher Freund moderner Kunst hervorgetreten, favorisiert den Entwurf, den der spröde Minimalist gemeinsam mit dem Architektenkollegen Richard Eisenman realisieren möchte. Ungeachtet des deutschen Denkmalstreits sind nun in New York die neuesten Arbeiten des US-amerikanischen Bildhauers zu sehen.

In einer an der 22. Straße gelegenen, umgewidmeten Lagerhalle, die dem Dia Art Center angegliedert ist, zeigt der 1939 geborene Serra vier monumentale „Torqued Ellipses“, bis zu vier Meter hohe Bänder aus gewalztem Stahl, die zu raumgreifenden Rotunden gebogen sind und nur durch schmale Öffnungen Einlaß gewähren. Die Farbe des oxydierten Metalls changiert in roten, braunen, bläulichen Tönen, je nach Tageslicht. Kunstlicht gibt es in der nüchternen Halle nicht, so daß während der Wintermonate die Installation mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen wird.

Serra hat sich für seine neue Arbeit 1993 bei einem Rom-Besuch inspirieren lassen, als er die barocken Raumerfindungen Francesco Borrominis sah. Besonders die kleine Kirche San Carlo alle Quattro Fontane, mit ihrer Verquickung mehrerer geometrischer Elementarformen im Grundriß und dem elegant geschwungenen Innenraum, hatte es dem Minimal- art-Künstler angetan.

Als er zurück nach New York kam, rief Serra daher einen technischen Mitarbeiter des postmodernen Stararchitekten Frank Gehry an, um mit ihm seine in Rom gereifte Idee zu besprechen: Serra wollte eine Skulptur aus gegeneinander versetzten Ovalen konstruieren, die sich in einer rotierenden Bewegung im Emporsteigen auseinander entwickeln; eine Form, die einerseits logisch erscheint, andererseits jedoch – so Serra – bislang weder in der Architektur noch in Stahl oder Keramik je erprobt worden war. Zwischen Computer und Walzwerk entstanden somit vier elliptische Formen von barocker Eleganz; während zwei der begehbaren Skulpturen in ihrem Inneren großzügig geschwungene Weite offenbaren, sind die beiden weiteren Ellipsen so ineinander gestellt, daß sich der Raum in ihrem Inneren erst nach der Engführung des Zwischenraumes erschließt. Es ist diese ideale Mischung aus Ruhe und Präzision, wegen der sich die Installation in New York höchster Bewunderung erfreut.

Serras Minimalismus der Form, immer wieder mit den sublimen Bildern Barnett Newmans verglichen, wirkt diesmal fast erzählerisch. Daher empfindet auch die New Yorker Village Voice die geometrisch-verspielten „Torqued Ellipses“ als sein bislang freundlichstes Werk – „ohne die einschüchternden Gesten, die einst bekundeten, wie ernsthaft er sei, und der Rest von uns nicht“.

Mit diesem Kommentar legt der Village-Voice-Kritiker Peter Schjeldahl den Finger in die Wunde. Schließlich ist die Beziehung zwischen Serra und New York doch mehr als gestört, seit der beharrliche Protest der New Yorker gegen Serras „Tilted Arc“ zum Abriß des strengen Kunstwerks führte. „Weg mit dem Schrott!“ hatte es 1985 in einem öffentlichen Hearing geheißen, das den 37 Meter langen, leicht geschwungenen Stahlbogen von 1981 am Ende zu Fall brachte. Die Beamten des staatlichen Verwaltungsamtes GSA, das Serras ortbezogene Skulptur 1980 für den Federal Plaza in Auftrag gegeben hatte, machten am 15. März 1989 von ihrem Eigentumsrecht Gebrauch und verfügten, das der Bogen entfernt wurde.

Bereits damals hatte eine Kuratorin vom Metropolitan Museum das Umwandern von Serras gigantischer Stahlplastik mit einem Gang um Stonehenge oder einen ägyptischen Tempel verglichen. Doch ihr leidenschaftliches Plädoyer für Serra wurde damals ignoriert. Nun, da der Raum nicht mehr öffentlich, sondern institutionalisiert ist und keine Behinderung für eilige Fußgänger darstellt, hat New York wieder einen Serra – mehr Stonehenge als je zuvor, doch zugleich gebändigt in einer feierlichen Halle für die Kunst im ohnehin kunstsinnigen Stadtteil Chelsea.

Geschützt vor Anfeindungen ändert der Cor-ten Stahl der „Torqued Ellipses“ seine Erscheinung wie einst die Kathedrale von Rouen in den Bildern Monets je nach Wetter oder Tageszeit, während die in die Höhe gedrehten Ovale mit jedem Standortwechsel des Betrachters neue Perspektiven freigeben. Damit hat Serra selbst Peter Schjeldahl hinter sich gebracht. Früher vehementer Gegner der „Tilted Arc“, schwärmt er nun von dem besten Kunstwerk des Jahres. Fassen kann er es allerdings immer noch nicht, denn begeistert von Serras neuer Arbeit fühlt sich Schjeldahl „wie ein Eunuch bei einer Orgie“, der sich doch gern ebenso hingeben würde wie die anderen Gäste.

Zum Publikumsmagneten geworden, werden die gedrehten Ellipsen noch bis zum Sommer in New York zu sehen sein, bevor die Arbeit als Teil einer Serra-Retrospektive im Herbst des Jahres nach Los Angeles geht. Danach würde Michael Govan, Direktor des Dia Center for the Arts, die 160 Tonnen Stahl am liebsten nach Europa reisen lassen.

Richard Serra: „Torqued Ellipses“, bis 14. Juni, Dia Center for the Arts, New York