Absurde Arbeitsteilung in Bagdad

Im UN-Hauptquartier im Irak arbeiten Waffeninspekteure und für humanitäre Hilfe zuständige Mitarbeiter nebeneinander her. Die einen suchen Massenvernichtungsmittel, die anderen versuchen der Bevölkerung zu helfen  ■ Von Karim El-Gawhary

Kairo (taz) – Das UN-Hauptquartier im Bagdader Canal-Hotel ist ein Gebäude voller Gegensätze. Im obersten Stockwerk, hinter mit Gittern gesicherten Fenstern, gehen die UN-Waffenkontrolleure ihrer Arbeit nach. Meist aus dem reichen Norden der Welt stammende Männer weißer Hautfarbe, mit in der Natur ihrer Arbeit begründetem militärischen Hintergrund. Nicht nur IrakerInnen, sondern auch andere UN-Angestellte bezichtigen sie oft der Arroganz und Überheblichkeit. „Gorillas“ werden sie wenig liebevoll genannt. Solange sie ihre Suche nach Massenvernichtungswaffen und Raketen fortsetzen, solange bleiben auch die nach dem irakischen Überfall auf Kuwait im August 1990 vom UN-Sicherheitsrat gegen das Land verhängten Sanktionen in Kraft.

Und damit treten die eine Etage tiefer angesiedelten UN-Mitarbeiter in Aktion: jene Abteilungen der UNO in Bagdad, deren Mandat es ist, eine „weitere durch die Sanktionen verursachte Verschlechterung der humanitären Situation zu verhindern“. Im oberen Stockwerk als „Softies“ verschrien, ist hier ein bunter Haufen von UN-Angestellten aus aller Welt am Werk – hinter offenen und unvergitterten Fenstern.

Ihr wichtigstes Instrument ist die im Mai 1996 in Kraft getretene Ausnahmeregelung zwischen der UNO und dem Irak, das Programm „Öl für Nahrungsmittel“. Das Prinzip ist einfach: Dem irakischen Staat ist es gestattet, alle halbe Jahr eine begrenzte Menge Öl zu verkaufen. Bis vor kurzem durfte der Gegenwert des Rohstoffs maximal zwei Milliarden US-Dollar betragen.

Weil schließlich auch die US- Regierung einsah, daß diese Summe nicht ausreicht, um die irakische Bevölkerung zu versorgen, stimmten die Mitglieder des UN- Sicherheitsrats vor zwei Wochen einem Vorschlag von Generalsekretär Kofi Annan zu, die erlaubte Ölfördermenge auf halbjährlich 5,2 Milliarden Dollar zu erhöhen. Man wolle damit zeigen, daß der Sicherheitsrat nur mit Iraks Staatschef Saddam Hussein im Klinsch liege und nicht mit der irakischen Bevölkerung, ließen die britischen und US-amerikanischen Vertreter im Sicherheitsrat verlauten. Der Erlös des Verkaufs fließt in die Kassen der UNO, die wiederum an private Firmen Aufträge zur Lieferung von Nahrungsmitteln und Medizin vergibt. Diese werden dann unter UN-Kontrolle vom irakischen Staat an die Bevölkerung verteilt.

UN-Mitarbeiter in Bagdad gestehen freimütig ein, daß das bisherige Programm vollkommen unzureichend war. Abgesehen von Lieferschwierigkeiten und der Tatsache, daß jeder einzelne Vertrag von einem Sanktionskomitee der UNO abgesegnet werden muß und nicht selten blockiert wird, gibt es ein grundsätzliches Problem: „Wenn es unser Mandat ist, eine Verschlechterung der Situation zu verhindern, dann reicht das aus den Ölverkäufen gewonnene Geld schlichtweg nicht aus“, erklärt Eric Falt, Sprecher des Koordinationsbüros für humanitäre Angelegenheiten im Irak.

Bisher wurden durch das Programm an jede/n IrakerIn – zumindest theoretisch – täglich 2.000 Kalorien verteilt. Doch laut UN-Mitarbeitern hat die ohnehin zu niedrig berechnete volle Kalorienmenge seit Bestehen des Programms in nur einem einzigen Monat auch die IrakerInnen am Ende der Verteilungsskette erreicht. Therapeutische Essensrationen, also spezielle Nahrungsmittel für all jene chronisch unterernährten IrakerInnen, tauchen in der Rechnung gar nicht auf.

Daß es sich bei den Kalorienmengen nicht um Rechenspiele handelt, belgen auch UN-Angaben. Nach Informationen der Kinderhilfsorganisation Unicef ist ein Viertel aller irakischen Kinder chronisch mangel- oder unterernährt. „Besonders katastrophal“, so der Unicef-Chef in Bagdad, Philiph Heffing, „wirkt sich diese Unterernährung bei Kindern unter zwei Jahren aus. Sie tragen lebenslange Schäden davon.“ Eine in allen irakischen Provinzen durchgeführte Unicef-Studie kommt zu dem Schluß, daß das Programm „Öl für Nahrung“ die Situation nicht wesentlich verbessert hat.

Doch die Aufrechterhaltung der Sanktionen und eine erhöhte Ölförderquote erweisen sich als unvereinbar. Die irakische Regierung hat den höheren Quoten zwar zugestimmt, aber auch erklärt, daß die darnieder liegenden Ölanlagen nicht fähig seien, die vorgeschlagene Kapazität auch zu fördern. Weil die seit 1990 stillstehenden Pumpen langsam verrotten, sei der irakische Staat derzeit nur in der Lage, alle sechs Monate Öl im Wert von etwa vier Milliarden US- Dollar zu exportieren. Zusätzlich kompliziert wird die Situation durch den Sturz des Ölpreises in den letzten Wochen.

Nach Angaben von UN-Koordinator Eric Falt wird deshalb innerhalb der nächsten zwei Wochen eine Gruppe von Ölexperten in den Irak reisen, um die Pumpkapazitäten zu untersuchen, und eine Liste mit den benötigten Ersatzteilen erstellen. Zugleich wird Iraks Außenminister nach New York aufbrechen, um mit UN-Vertretern einen neuen Verteilungsplan für Nahrungsmittel und Medizin zu besprechen. Konkrete Ergebnisse werden nicht vor April erwartet.

Unterdessen suchen UN-Kontrolleure im Irak weiter nach Massenvernichtungswaffen, während ihre für humanitäre Aufgaben abgestellten Kollegen erfolglos versuchen, eine weitere Verschlechterung der Lage der Bevölkerung zu verhindern. In manchem der zu Büros umfunktionierten Zimmern des Canal-Hotels in Bagdad zweifeln die Mitarbeiter über den Sinn dieser Arbeitsteilung.