Das Aufbegehren des Körpers

■ Jenseits von Triebabfuhr-Trauerspielen: Das Fama-Kino zeigt ausgewählte Japan Erotics

„In Japan gibt es zwar eine staatliche Filmzensur für jede Art von Filmen“, weiß Georg Seeßlen zu berichten, „sie richtet sich aber keineswegs auf die Bewertung erotischer, sexueller oder pornographischer Darstellungen. Der pornographische Film wird in Japan als durchaus ehrenwertes und ernstzunehmendes Genre angesehen, dessen Hervorbringungen von den bedeutenden Kritikern der Zeitungen und Fachzeitschriften ausführlich rezensiert und debattiert werden. Für diese Kritik ist es selbstverständlich, daß pornographische Filme auch soziale und ästhetische Werte transportieren.“

Jene „roman pornos“– wie die „romantisch-pornographischen“Filme in Japan abgekürzt wurden – gehören inzwischen zur Filmgeschichte der Siebziger. Das Fama widmet sich ihnen mit einem Paket von Filmen, das vor sieben Jahren schon einmal durch deutsche Programm-Kinos zog. Aufgestockt wurde die Retrospektive um Nagisa Oshimas Im Reich der Sinne und die gänzlich unerotische, aber urkomische schwarze Komödie Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb, ein bizarres Meisterwerk, das sich ausnimmt, als hätte Peter Jackson in Tokyo ein Rainer-Werner-Fassbinder-Remake gedreht.

In den Siebzigern pendelte die Produktion von erotischen Filmen in Japan zwischen 40 und 50 Prozent. Sie zielte nicht auf den schmuddeligen Markt der Bahnhofskinos, sondern wies – unter Einhaltung bestimmter um die Darstellung primärer Geschlechtsorgane kreisender Tabus – eine thematische Breite auf, die den repressiv-entsublimierten, bundesdeutsch-derben Triebabfuhr-Trauerspielen aus dem RTL-Nachtprogramm mit ihren quietschenden Betten und Dirndln abgeht. Einen besonderen Stellenwert nahm die Produktionsgesellschaft Nikkatsu ein, eine der ältesten Japans, die vom Niedergang der Filmindustrie in den Sechzigern besonders hart betroffen war und in den Siebzigern mit der Produktion von Sexfilmen wie Abe Sada (1975), Das älteste Gewerbe (1974) und Straße der Lust (1975) begann. In vielem ähnelte die Produktionsweise von Nikkatsu der des Exploitation-Regisseurs Roger Corman zur selben Zeit. Jungen Filmemachern wurde ein beispielloses Ausmaß an thematischer und stilistischer Freiheit gewährt – sofern sie nur ein bestimmtes Quantum an Sex integrierten.

Viele der Filme reagieren auf die Modernisierung des Landes, aber sie tun das hinsichtlich ihrer „sexual politics“, weil mit den amerikanischen Besatzern auch die christianisierte Sünde kam und die Foucault so faszinierende Liebes-(Ästh)ethik der Holzschnitte Utamaros und Hokusais verdrängte. Immer geht es um die Unmöglichkeit, Sexualität und Gesellschaft auf nichtdomestizierende Weise zu versöhnen – sei es im ernüchterten Satz der Nachkriegs-Hure in Seijun Suzukis roman-porno-Vorläufer Zuflucht der Sirenen (1964): „400 g Rindfleisch kosten 40 Yen, genauso viel wie unsere Körper“oder im Liebestod am Vorabend der faschistischen „Machtergreifung“in Oshimas Im Reich der Sinne (1976).

Oshimas Film gehörte neben Pasolinis Salò oder die 120 Tage von Sodom zu den großen Skandalen der Siebziger: Der in Cannes einhellig gelobte Film wurde auf den Berliner Filmfestspielen wie Salò von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und mußte nach heftigen Debatten über Kunst, Pornographie und Gewalt reumütig wieder freigegeben werden. Beschämend war daran nicht, daß Oshima als „japanischer Godard“nicht nur einer der Säulenheiligen der damaligen Avantgarde war (es gibt nämlich immer nur eine Definition von Pornographie: die staatliche), sondern daß in den letztlich unentscheidbaren Debatten über den Kunstcharakter von sexuellen Repräsentationen alle anderen Bezüge verlorengingen. Während Pasolinis De-Sade-Verfilmung den Triebcharakter des Faschismus herausstellt und dem Glauben an die subversive Kraft der Lust der Leiber radikal abschwört, zeigt Oshima ein letztes verzweifeltes Aufbegehren der Körper, das seine Reinheit nur im Tod bewahren kann.

Wie Noburo Tanakas Abe Sada (1975) basiert Oshimas aus der Perspektive seiner weiblichen Heldin erzählter Film auf der Lebensgeschichte der Geisha Abe Sada, die sich in den verheirateten Kichizo verliebt. Die beiden barrikadieren sich in einem Bordell ein, ziehen die Verachtung der Gesellschaft auf sich und verlieren – von Oshima virtuos inszeniert – jeglichen Kontakt zur Welt jenseits ihrer Lust. Anfangs nennt Abe Sada Kichizo noch „Meister“, in der zweiten Hälfte wird sie zur dominanten Partnerin, die in der japanischen Fassung eine Sprache spricht, die nur Männern vorbehalten ist. Doch diese Reise ans Ende der Nacht endet nicht in der Sonne: Am Ende erwürgt und kastriert Abe ihren Liebhaber auf dessen Wunsch in einem letzten ekstatischen Liebesakt, weil er für immer mit ihr vereinigt bleiben will. Dieses Ideal der Hingabe und männlich-masochistischer Passivität hat mehr mit Bataille oder Céline als mit Russ Meyer zu tun. Im Reich der Sinne ist sicher nicht frei von Phallokratismus, an ihm läßt sich aber, wie die feministische Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch schrieb, „nicht nur viel über Sexualität und Geschlechter lernen“, sondern eben auch, „was ein erotischer Film ist“.

Tobias Nagl

„Im Reich der Sinne“: Fr. 6. + Sa 7. März, 23 Uhr

„Zuflucht der Sirenen“: Do, 12. + Fr. 13. März, 23 Uhr

„Der Voyeur“: Sa, 14. + So, 15. März, 23 Uhr

„Abe Sada“: Do, 19. + Fr 20. März, 23 Uhr

„Das älteste Gewerbe“: Sa, 21. + So 22. März, 23 Uhr

„Straße der Lust“: Do, 26. + Fr 27. März, 23 Uhr

„Die Familie mit...“Sa, 28. + So, 29. März, 23 Uhr