: Überleben im Welttheater
■ Der Ex-DDR-Mann Lutz Friedel zeigt wohltuende Katastrophenbilder bei Steinbrecher / Bemerkungen über Preise in Bremen und Heisig im Bundestag
feifen, Windböen, da, ein Knall, naja, ein Beinaheknall. Der Weltuntergang? Nur Ruhe, man wurde nur beinahe vom Fahrrad heruntergeweht. Diese verflixten Bremer Tramgleise. Eigentlich wären blutige Knie aber der angemessene Auftritt gewesen für die Vernissage in der Galerie Steinbrecher. Es geht um die großen, blutigen Katastrophen der Menschheitsgeschichte.
Auf die Farbe Schwarz bekommt Lutz Friedel garantiert einen satten Rabatt bei seinem Malbedarfhändler. Circa 50 Prozent der Leinwand ist gehüllt in tiefes Dunkel. Weite Flächen verschlingen jeden einfallenden Lichtstrahl. Der Rest wird meist bestritten mit einem einzigen engen Farbfeld. Mal ist es das Bläuliche, mal das Grün, mal wird die Farbe Gelb mit einigen Nuancen umtänzelt. Besonders häufig verwendet Friedel aber ein delikates Etwas von Farbe, das irgendwo zwischen pompejanischem Rot, Ochsenblutrot und roher Rinderniere trieft. Durch ihre farbliche Reduktion (oder Disziplin) entkommen die Bilder jenem Verdikt, dem gegenständliche Malerei hier und heute (aus politischen Gründen?) unterliegt.
Vielleicht liegt die gänzlich antialtmodische Wirkung aber auch an der Art der Gegenstände: Flugzeug, abstürzend, Zeppelin, abstürzend, Titanic, sinkend, Vesuv, explodierend, Turm von Babel, bröckelnd, Berliner Olympiastadion, dampfend, Autobahnbrücke, existierend! Zur Vollendung des Unglücks fehlt nur noch das Fahrrad, stürzend. Friedel hegt eine stille Liebe zum Worst case oder größten anzunehmenden Unfall. Die Tauglichkeit zum AKW-Sicherheitsfachmann hätte dieser Negative-thinker allemal.
Manchmal krustet sich die Farbe dick über die Zentren des Desasters, manchmal ist der Auftrag aalglatt. Manchmal splittert neben den Dingen auch gleich der ganze Bildraum kubistisch auseinander, dann wiederum sehen wir einem Unglück realistisch-distanziert wie einem Kinofilm zu. Den Toten ist es egal. Doch die Überlebenden?
Elias Canetti staunte irgendwo in „Masse und Macht“darüber, daß wir uns insgeheim freuen über das Hinwegsterben anderer Menschen. Das, so meinte er, ,passiert' uns nicht aus Mißgunst, sondern weil wir durch den Tod der anderen merken, wie zäh wir selbst durchhalten. Das erheitert uns. Die positiven Auswirkungen der Beschäftigung mit Katastrophen kann man bestens an Lutz Friedel selbst studieren. Der 50jährige, der 1984 von Ostberlin nach Frankfurt übersiedelte, begegnet der Welt mit einer wunderschönen Mischung aus Gelassenheit und Verständnis. Galerist Steinbrecher, Freund vieler DDR-Geschundener, ereifert sich neun Jahre ,danach' noch immer über Sitte, Tübke, Mattheuer; und ganz besonders darüber, daß Bernhard Heisig Einzug halten soll in die geheiligten Hallen des Bundestags. Dagegen Heisigschüler Friedel: „Gegen Heisig im Bundestag habe ich nichts. So weit muß die Toleranz in einer Demokratie gehen. Natürlich verstehe ich Maler, die in der DDR unterdrückt wurden. Nur, ich habe eben andere Erfahrungen.“Weil einst ein Bild von den DDR-Ausstellungsmachern zurückgewiesen wurde, verkauft ihn heute sein Galerist trotzdem als Verdrängten: damals verdrängt, heute wieder verdrängt. Die Verdrängungen kosten übrigens um die 15.000 Mark. Herrlich unverkrampft und ohne Gram läßt es sich mit Friedel über die Mechanismen des Marktes plaudern: „Der Heisig hat noch nie so gut verdient wie heute. Das hat er der Schmutzkampagne des Spiegels zu verdanken. Jetzt ist er wirklich in aller Munde.“Die Bewertungen des Kunstmarkts „haben mit der Malerei nichts zu tun. Was gekauft wird, bestimmt eine Gang, eine Mafiagang. Natürlich nicht für die bedeutenden Galerien und Museen zum Beispiel in Stuttgart und München. Aber die sind letztlich auch nichts anderes als Mafiabanden.“Aber was ist das schon alles gegenüber einem Unfalltod (oder Fahrradsturz). Hoppla, wir leben. „Schon Beckmann hat vom Welttheater gesprochen. Ach was, schon das alte Rom hat vom Welttheater gesprochen.“Und da die DDR und das neue Deutschland Teil daran hatten bzw. haben, mußte Friedel nach seinem Zug gen Westen seine Arbeit nicht substantiell verändern.
Im Gegensatz zu Anselm Kiefers Geschichten um die Geschichte, ist die Strategie von Friedels Bildern „nicht historisch, sondern poetisch“. Aber kann man sich abgenutzten Themen wie Umweltverschmutzung und menschlicher Hybris heute noch künstlerisch zuwenden? „Man kann alles. Wenn es gut gemacht ist. Zum Beispiel Mozarts Zauberflöte. Die ging thematisch nicht einmal bei Hauffs Märchen durch, aber die Musik ist gut.“Wie viele gegenständliche Kollegen, Baselitz, Immendorff, Lüpertz..., wuchtet Friedel den vergänglichen menschlichen Körper in splittriges Brennholz. So liegt in der Mitte des Raums ein Goliath-Kopf. Er nickt, zu Friedels Worten.
bk
Galerie Steinbrecher, Am Dobben 123, bis 28. März
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