Fall Stradivari gibt weiter Rätsel auf

■ Prozeß um den Tod der Geigenlehrerin Maria Grevesmühl / Angeklagter raubt Zwei-Millionen-Geige und liefert vor Gericht die fünfte Version der Tathintergründe

Nach fünfeinhalb Stunden war die Vorsitzende Richterin Hilka Robrecht mit ihrer Geduld am Ende. „Wir haben heute so viele Wahrheiten gehört, so viele unterschiedliche Wahrheiten, und ich möchte Ihnen die Gelegenheit geben, noch einmal darüber nachzudenken, was nun die wahre Wahrheit ist. Die würden wir hier nämlich sehr gerne hören“, sagte sie zu dem Angeklagten, Marim B., der sich gestern vor dem Landgericht wegen Raubes mit Todesfolge verantworten mußte.

Der 33jährige hat gestern vor Gericht zugegeben, der Geigenlehrerin Maria Grevesmühl im Oktober 1996 auf dem Bahnhof in Bremen-Schönebeck ihre Stradivari (geschätzter Wert: rund zwei Millionen Mark) geraubt zu haben. Grevesmühl war bei dem Überfall eine Treppe hinuntergestürtzt und zu Tode gekommen. „Ich konnte ihr die Geige sehr leicht abnehmen“, widersprach der Angeklagte seiner bisherigen Aussage, er habe die Frau geschubst. „Ich nahm ihr die Geige aus der Hand, und dann lief ich direkt zum Wagen.“

Während Marim B. in früheren Aussagen behauptet hatte, der Musikstudent Vasile D. habe ihn angestiftet, die Professorin zu überfallen, sagte er gestern vor Gericht aus, daß auch der Bruder von Vasile D., Victor D., sowie der Musikstudent Ravzan D. den Überfall geplant hätten. Ravzan D. hat sich nach der Tat unmittelbar nach Rumänien abgesetzt. Das Trio hätte die Geige verkaufen wollen, sagte Marim B. weiter. Das Geld hätte zu gleichen Teilen aufgeteilt werden sollen. „Nur Vasile wollte seinen Teil an seinen Bruder geben.“

Vasile D., der Lieblingschüler Grevesmühls, bestreitet eine Beteiligung an der Tat energisch. Maria Grevesmühl hatte dem Straßenmusiker einen Studienplatz an der Musikhochschule besorgt, weil sie an sein Talent glaubte. „Sie war eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Ich war mit ihr sehr, sehr vertraut. Ich war sehr traurig, als ich von ihrem Tod hörte, und kann es bis heute nicht fassen. Wenn ich irgend etwas davon gewußt hätte, ich hätte alles getan, um das zu verhindern. Herr B. beschuldigt mich zu unrecht, weil er andere decken will.“

Tatsächlich hatte B. vor der Gerichtsverhandlung insgesamt vier verschiedene Versionen über die Tat und ihre Hintergründe zu Protokoll gegeben. Vasile D. hätte ihn spontan auf der Straße angesprochen, ihm seine Visitenkarte gegeben und ihm ein gutes Geschäft in Aussicht gestellt, lautete eine seiner ersten Darstellungen. „Alles, was ich bis zum heutigen Tage gesagt habe, entspricht nicht der Wahrheit“, sagte der Angeklagte gestern. Er verstrickte sich allerdings immer wieder in Widersprüchen. Schon im Februar 1997 hatte das Landgericht „gewisse Zweifel an der Richtigkeit der geschilderten Angaben“von Marim B. und hob den Haftbefehl gegen Vasile D. auf.

Marim Bs gestrige Aussage war mithin die fünfte Version. Vor der Tat wäre er mit dem Studenten Ravsan D. zum Hof der Frau gefahren, um sie auf ihrem Parkplatz zu überfallen, erzählte er gestern beispielsweise zum ersten Mal. Er habe es dann aber nicht übers Herz gebracht, die Frau zu überfallen. Wenige Tage später hätte Ravzan D. ihn zum Bahnhof gefahren und dort auf ihn gewartet, während er die Geige geraubt hätte. „Egal, was passiert, Ravzan sollte ich nicht erwähnen“, sagt er kurz darauf.

Die Polizei hätte ihn massiv unter Druck gesetzt. Ein Beamter hätte eine Visitenkarte von Vasile D. in seinem Portemonnaie gefunden, sie auf den Tisch geschlagen und ihn ermahnt, die Wahrheit zu sagen. Er habe die Aussage verweigern wollen. „Sie haben mich zur Verzweiflung gebracht. Schließlich habe ich gesagt, ich hätte die Frau mit beiden Händen gestoßen“. „Was sollen wir denn nun glauben“, wollte die Vorsitzende Richterin wissen. „Sie mögen glauben, was Sie für richtig halten“, antwortete der Angeklagte. kes