Träume als Nervennahrung

Der 77:75-Erfolg gegen Paok Saloniki verschafft Alba Berlin eine gute Ausgangsposition für das heutige zweite Spiel im Achtelfinale der Basketball-Europaliga  ■ Aus Berlin Matti Lieske

„Dies ist eine sehr schwere Serie“, dozierte Zvi Sherf, nachdem sein Team Paok Saloniki das erste Spiel im Achtelfinale der Basketball-Europaliga bei Alba Berlin mit 75:77 nach Verlängerung verloren hatte. „Im Vorteil ist die Mannschaft“, fügte der israelische Coach hinzu, „die weniger müde ist und weniger Verletzungen hat.“ Das müßte eigentlich für die Griechen sprechen, die in der vergangenen Woche längst nicht so viele Spieler für die EM-Qualifikation der Nationalmannschaften abstellen mußten wie die Berliner und mit Hilfsspielmacher Kakiousis nur einen Ausfall zu beklagen hatten. Bei Alba konnte zwar auch nur Henrik Rödl überhaupt nicht spielen, aber Harnisch, Welp, Pesic und Karassew plagten sich mit Blessuren und hatten in den Tagen zuvor kaum trainieren können.

Dies könnte sich im weiteren Verlauf der Serie auswirken, die heute mit dem zweiten Match in Saloniki und, falls die Griechen gewinnen sollten, mit der entscheidenden Partie am kommenden Donnerstag in Berlin weitergeht. Dazwischen haben beide Teams am Wochenende schwere Ligaspiele, Alba am Sonntag das Duell mit Baskets Bonn um den 1. Platz in der Hauptrunde der Bundesliga.

Am Dienstag waren es vor 8.336 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle die vermeintlich frischeren Spieler von Paok, die am Ende „mehr Fehler machten“, wie Zvi Sherf einräumen mußte. Und stünde in den Reihen seiner Mannschaft mit dem 20jährigen Predrag Stojakovic nicht das, nach allgemeiner Einschätzung, größte Talent Europas seit Toni Kukoc, hätte Alba nicht mal die Verlängerung gebraucht, um die äußerst verbissen geführte Begegnung für sich zu entscheiden. 24 Punkte warf der Jungstar trotz intensiver Bewachung durch Henning Harnisch und gelegentlich Jörg Lütcke, die wichtigsten in der letzten Sekunde der regulären Spielzeit. Mit 69:66 führten die Berliner, nachdem Harnisch zehn Sekunden vor Schluß zwei Freiwürfe verwandelt hatte, doch dann stand Stojakovic plötzlich in der linken Ecke frei und verwandelte den Dreier zum Ausgleich.

„Mit der Intensität in der Defense bin ich zufrieden“, sagte Alba-Coach Svetislav Pesic später, „mit der Konzentration in den letzten fünf Sekunden bin ich nicht zufrieden.“ Gemeint waren die letzten fünf Sekunden bei jedem Spielzug der Griechen, die häufig lange keine Wurfmöglichkeit fanden und dann kurz vor Ablauf der 30 Sekunden, die für einen Angriff zur Verfügung stehen, doch noch trafen. „Wir wollten sie unter Druck setzen und zu schnellem Spiel verleiten“, sagte Marco Pesic, doch das habe nicht geklappt, weil sich der Gegner nicht nervös machen ließ. „Das ist eine erfahrene Mannschaft“, lobte der Trainersohn. Erfahren genug, um sich nicht nur auf die Wendigkeit und Treffsicherheit von Stojakovic sowie die Dominanz unter dem Korb (Rebounds: 40:28 für Saloniki) zu verlassen, sondern auch zu erkennen, wer sich am ehesten gegen die rigorose Alba-Abwehr durchsetzen konnte: der kantige US-Amerikaner Ronald Rowan, der 21 Punkte beisteuerte.

Erschwerend für die Berliner kam hinzu, daß sie so gut wie gar nicht aus der Distanz trafen und daß die Schiedsrichter die sehr aggressive Paok-Spielweise mit Griffen in den Arm und Ellenbogeneinsatz eher tolerierten als die bissige Deckungsarbeit von Alba. „Wir haben nicht besonders gut gespielt“, räumte Marco Pesic ein. Daß die Berliner dennoch gewannen und den Schock des Ausgleichs in letzter Sekunde ebenso verkrafteten wie den frühen Ausfall des Russen Karassew in der Verlängerung nach seinem fünften Foul, zeigt die gewachsene Reife der Berliner, die im Achtelfinale des Vorjahres noch sang- und klanglos am FC Barcelona gescheitert waren.

Der in einer hektischen Schlußphase sichergestellte Sieg gegen Saloniki war schon der sechste Erfolg mit weniger als drei Punkten Vorsprung in dieser Saison. „Wir stehen nicht mit dem Rücken zur Wand und können ohne Druck spielen“, wagte Center Christian Welp einen optimistischen Blick auf das heutige Match in Saloniki, und Svetislav Pesic hatte sofort ein Rezept bereit, wie sich die guten Nerven bis dahin konservieren lassen: „Schnell in Tiefschlaf und träumen. Aber nicht von Basketball.“ Das dürfte nach einem solch intensiven Spiel eher schwergefallen sein.