Ortega, oberster Hahn der Sandinisten

■ Die Adoptivtochter von Nicaraguas Ex-Präsident beschuldigt den sandinistischen Führer, sie jahrelang sexuell mißhandelt zu haben

Berlin (taz) – Nicaraguas sandinistischer Ex-Präsident Daniel Ortega (51) sieht sich dem Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs ausgesetzt. Der Urheber dieser Klage ist weder CIA noch Konterrevolution, sondern Ortegas Adoptivtochter Zoilamérica, die leibliche Tochter seiner Lebensgefährtin Rosario Murillo. In einem offenen Brief schreibt die heute 30jährige: „Seit meinem elften Lebensjahr wurde ich sexuell mißhandelt, immer wieder und viele Jahre lang, durch jemanden, der trotz seiner Eigenschaft als Familienoberhaupt seine Macht mißbraucht und in mir Ängste und Unsicherheiten gesät hat.“ Die Folgen „dieser lang andauernden Aggression, gepaart mit Hetze, Drohungen, Druck und Erpressung“ loszuwerden sei nicht leicht gewesen. Sie breche jetzt ihr langes Schweigen, werde den Nachnamen Ortega ablegen und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen – auch ihre politische Zukunft als Mitglied der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), der Daniel Ortega als Generalsekretär vorsteht.

Dieser wehrt sich denkbar unkonkret: Es handele sich um politisch motivierte Manipulationen, erklärte er und ließ ansonsten bei einer eiligst einberufenen Pressekonferenz seine Lebensgefährtin Rosario Murillo reden – ganz wie US-Präsident Bill Clinton seine Hillary. Die Anschuldigungen, erklärte Murillo, seien „ein Schlag gegen unsere Familie. Wir möchten das gerne als Familienangelegenheit unter uns behalten.“

Das ist verständlich. Denn schon mehren sich die Stimmen, das Parlament solle Ortegas Immunität aufheben, um die Vorwürfe auch juristisch klären zu lassen. Xanthis Suárez, FSLN-Abgeordnete im Zentralamerikanischen Parlament, sagte, sie werde dafür sorgen, daß sich das „Frauennetzwerk gegen Gewalt“ des Falles annehme.

In der sandinistischen Parteigeschichte wäre das einzigartig. Noch nie ist ein Führungsmitglied wegen „privater“ Verfehlungen politisch belangt worden. Im Wahlkampf 1990 hatten die Sandinisten Ortega als „Kampfhahn“ mit stolzgeschwelltem Kamm präsentiert. Das Bild könnte der Wahrheit näher gekommen sein, als ihnen heute lieb ist. Bernd Pickert