Analyse
: Mitte und Zentrum

■ Die Union ist irritiert. Sie sucht nach einem Konzept gegen Gerhard Schröder

Man sollte es kaum glauben, aber die führenden Politiker von CDU und CSU haben in den letzten Wochen keine Zeitung gelesen – oder nicht geglaubt, was da geschrieben stand. Die Fixierung Helmut Kohls auf Oskar Lafontaine als seinen Lieblingsgegner hat offenbar allen die Sinne vernebelt. Kaum einer aus der Union hatte Gerhard Schröder als SPD-Kanzlerkandidaten auf der Rechnung. Die Folgen dieser grandiosen Fehleinschätzung sind seit vier Tagen zu besichtigen. Die Union wirkt desorientiert und hilflos.

Erst einmal flüchtet sie sich in schöne Sinnsprüche. „Der Wagen der Koalition braucht etwas länger, aber er rollt“, heißt es im Bonner Kanzleramt. Dieser Mutmacher soll ein Beitrag zur Wahlstrategie sein. Ein anderer Spruch stammt von Klaus Escher, dem Chef der Jungen Union: „Helmut Kohl ist die Mitte der CDU, aber Wolfgang Schäuble ihr Zentrum.“ Dieses semantische und geographische Durcheinander läßt sich nur mit der vertrackten Situation der Union erklären: Vor Monaten waren noch fast alle davon überzeugt, Helmut Kohl sei der richtige Spitzenmann der Union im Wahlkampf. Das würden heute nicht mehr viele bedenkenlos behaupten. Es traut sich aber keiner, diese Zweifel laut auszusprechen – weil es keinen Sinn macht. Es ist zu spät, jetzt noch auf Wolfgang Schäuble umzusatteln. Also wird hier ein bißchen an der Strategie gebastelt, dort ein bißchen an der Taktik.

Verkauft wird das Ganze als gutgemeinte Ratschläge an den Kanzler. Er solle sich stärker auf die Innenpolitik konzentrieren, heißt es in der Union. Er müsse nicht so oft ins Ausland, sondern mehr in die Betriebe und dort um Arbeitsplätze kämpfen. Ganz so wie – Gerhard Schröder. Kohl müsse mehr als bisher kämpfen und zeigen, daß er sich um die Sorgen der Menschen kümmere. Wie Schröder. CSU- Chef Waigel meint, der Kanzler müsse mehr mit den Unternehmern reden. Wie Schröder. Das wird den CDU-Generalsekretär jedoch nicht von seiner Lieblingsidee abbringen, die SPD in einem Lagerwahlkampf vorführen zu wollen.

Die Union stellt sich auch auf eine Personalisierung des Wahlkampfes ein. Ihre Themen sollen neben Kohl auf Schäuble und Waigel zugeschnitten werden. Damit will die Union dem Wunsch vieler Wähler, nicht nur mit einem altbekannten Gesicht konfrontiert zu werden, Rechnung tragen. Kohl soll nicht als Kanzler der 80er Jahre, sondern als Problembewältiger der 90er Jahre dargestellt werden. Der Rest ist: Haut den Schröder. Die Union möchte den SPD-Kanzlerkandidaten entzaubern. Sie will seine Defizite „gnadenlos“ herausarbeiten, in dem Glauben, Schröders „Raubtierlächeln“ reiche nicht weit. Der Sozi soll als „Machtmensch ohne Skrupel“ dargestellt werden. So weit zu den Ideen der anderen Machtmenschen ohne Skrupel. Jens König