Lehmklumpen statt „Helau“

■ Vor 150 Jahren warfen die 48er-Revolutionäre Bürgermeister Smidt die Fenster ein

Bunt geschmückte Festwagen, die, mit fröhlich winkenden Menschen besetzt, durch die Innenstädte des Rheinlandes fahren: Das sind Bilder, die man heutzutage mit Karneval assoziiert. Doch nicht immer ging es an den tollen Tagen so fröhlich zu. Denn anstatt eifrig „Helau“und „Alaaf“zu grölen, wurde am Rosenmontag des Jahres 1848 auch von den Karnevalsmuffeln in Bremen die Revolution ausgerufen. An jenem 6. März vor 150 Jahren flogen in Bremen die Steine, zersprangen Fensterscheiben und wurden Wachhäuser umgekippt.

Die Vertreibung des französischen Königs Louis Philippe aus Paris läutete das Revolutionsjahr 1848 ein. In Bremen traf die Nachricht vom französischen Königssturz mit einwöchiger Verpätung am 28. Februar ein. Erst weitere sechs Tage später, eben an jenem sechsten März, brach der Sturm gegen die Obrigkeit auch in der Hansestadt aus. Alkoholisierte Bürger gruppierten sich und zogen zum ehemaligen Stadthaus am Markt, in dem damals die Polizeidirektion untergebracht war. Mit Steinen und Lehmklumpen warfen die Revolutionäre Laternen und Fensterscheiben des Hauses ein. Auch das Haus des Bürgermeisters Smidt an der Contrescarpe wurde mit Steinen beworfen.

„Es gab zwar viel Geschrei und Demonstrationen, aber keine Toten wie in anderen deutschen Städten“, relativiert der Historiker Herbert Schwarzwälder die Bremer Situation. Dennoch blieb auch das Umwerfen von Wachhäuschen am Stadtausgang Herdentor nicht unbeachtet, und der Senat beugte sich dem Druck der Bevölkerung und hob am folgenden Tag die allgemeine Zensur auf.

Geistiger Führer der Bürgerbewegung war der Pastor der Liebfrauenkirche, Rudolf Dulon. Dulon arbeitete auch als Redakteur und verfaßte das Buch „Kampf um Völkerfreiheit“. Er wirkte maßgeblich an einer von 2.064 Bürgern unterschriebenen Petition mit. In dieser vom Bürgerverein verfassten Schrift wurden die Bildung einer Volksvertretung durch allgemeine Wahlen, die Pressefreiheit, öffentliche Gerichtsverhandlungen und eine neue Verfassung gefordert.

Nachdem die Petition vor hunderten von Menschen auf dem Marktplatz vorgestellt wurde, zog sich der Senat zur Beratung zurück. Noch am selben Tag wurde die Erfüllung aller Wünsche bestätigt. Laut Professor Schwarzwälder „hatte der konservative Senat keine Wahl, und er mußte dem Druck der Bevölkerung nachgeben.“

Am jenem Abend verkündete in vielen Bremer Fenstern heller Kerzenschein die Freude über die angenommene Petition. Während in ganz Westeuropa die Revolution voranschritt – am 13. März wurde Fürst von Metternich in Wien gestürzt –, wurde in Bremen am 21. März die neue Bürgerschaftswahlordnung verlesen. Im April schritten 5.000 Bürger zur Wahl der neu gegründeten Bürgerschaft, die sich am 19. April zum ersten Mal in der Geschichte Bremens traf. Trotz dieser Verbesserungen ließen die Wirtschaftskrise und die hohe Arbeitslosigkeit die Stimmung wieder sinken. Am 5. Dezember 1848 kam es erneut zu Unruhen, als bekannt wurde, daß ein Neustädter Kaufmann Schweinespeck gehortet hatte. Die Plünderung des Speck-Lagers in der Neustadt und die Versenkung des Specks in der Weser gingen als „Speckkrawalle“in die Annalen der Stadt ein.

Die Erfüllung der wichtigsten Forderung der März-Petition sollte sich bis in das folgende Jahr hinziehen: Am 5. März 1849 bekam die Hansestadt Bremen eine neue Verfassung. Damit war man schneller als die Revolutionäre auf nationaler Ebene; denn eine gesamtdeutsche Reichsverfassung wurde erst am 28. März 1849 vollendet. Nach der Gegenrevolution von 1852 und der Bekanntgabe der veränderten Verfassung von 1854 verlief das Aufbegehren der Bürger im Sande. Zumindest bis zur nächsten Revolution im Jahre 1918.

Mehrere Veranstaltungen in Bremen befassen sich mit der Revolution von 1848: Am 16. Mai findet im Staatsarchiv ein Vortrag zum Thema „Gegenseitige Einflüsse der Schweizer Bundesverfassung und der Bremer Verfassung“statt. Ebenfalls im Mai öffnet das Focke-Museum mit einer neuen Abteilung über die Revolution wieder seine Tore. Gegen Mitte des Jahres erscheint dann das Bremer Jahrbuch, in dem die Revolution als Schwerpunkt behandelt wird.

Kai Moorschlatt