■ Rühes Kenntnisstand in der Roeder-Affäre im Zwielicht
: Eine Frage des Zeitpunktes

Heute fällt es schon schwer, sich das fassungslose Entsetzen und die allgemeine Aufregung über die Roeder-Affäre in Erinnerung zu rufen. Die Öffentlichkeit hat sich an den Skandal gewöhnt. Anfang Dezember aber beherrschte das Thema über Tage hinweg die Schlagzeilen. Die wichtigste Frage war damals, wie eng die Kontakte zwischen Roeder und den Streitkräften tatsächlich gewesen waren.

Das Führungszentrum der Bundeswehr hat gut gearbeitet. Bereits in einem Vermerk vom 9. Dezember und einer beigefügten Chronologie hat Staatssekretär Wichter eine ziemlich umfassende Antwort auf diese brennende Frage geliefert. Der zeigte sich gestern vor dem Untersuchungsausschuß davon überzeugt, daß er den Vermerk noch am selben Tag gelesen hatte. Alles andere wäre in der aufgeheizten Stimmung von damals auch nur schwer vorstellbar. Ebenfalls sehr schwer vorstellbar ist allerdings, daß Wichter dem Minister die aufschlußreiche Chronologie nicht gezeigt hat – es sei denn, der Staatssekretär hat mit seiner Aussage recht, diese Informationen seien zu dem Zeitpunkt „Allgemeinwissen“ gewesen.

Wenn das stimmt, dann hat der Minister am 9. Dezember bereits von den Kontakten Roeders mit der Bundeswehr gewußt. Dann hätte Volker Rühe Parlament und Ausschuß belogen. Er hat ausdrücklich erklärt, den Verteidigungsausschuß jederzeit umfassend informiert zu haben. Vor dem 10. Dezember will der Minister selbst nicht gewußt haben, daß für aufmerksame Beobachter ein Zusammenhang zwischen Roeder und der Organisation „Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk“ erkennbar gewesen war. Die Chronologie des Führungszentrums belegt jedoch diese Verbindung mehrfach.

Manchmal entscheiden wenige Stunden über die Zukunft eines Politikers. Am 10. Dezember befaßte sich der Bundestag mit der Roeder-Affäre. Es ist fraglich, ob Volker Rühe dem Druck hätte weiter standhalten können, wenn die Abgeordneten damals schon von den direkten Beziehungen des Rechtsterroristen zu verschiedenen Abteilungen der Streitkräfte gewußt hätten. Heute stehen die Mitglieder des Untersuchungsausschusses einem ständig wachsenden Aktenberg gegenüber. Selbst sie bringen inzwischen die verschiedenen Daten durcheinander. Da werden es manche nicht mehr so wichtig finden, ob Volker Rühe bestimmte Informationen nun am 9. oder am 10. Dezember bekommen hat. Dabei könnte gerade diese kleine Frage von entscheidender Bedeutung sein. Bettina Gaus