MILZ können es den FILZ nie rechtmachen

Wie kommt es nur, daß der Wagen der Geschichte nicht vorwärts fährt? Kleine Zoologie der linken Zusammenhänge  ■ Von Christoph Spehr

Laut „Men in Black“ leben etwa 15.000 Aliens auf der Erde, der überwiegende Teil in Manhattan. Die meisten gehen irgendwelchen Jobs nach, verhalten sich unauffällig und versuchen einfach nur, über die Runden zu kommen. Diese Eigenschaft teilen sie mit einer anderen Spezies, die vermutlich sehr viel häufiger ist, über die aber noch viel weniger bekannt ist: die MILZ. Die meisten MILZ (Männer in linken Zusammenhängen) leben in irgendwelchen gemischten Projekten, hangeln sich so durch und versuchen einfach älter zu werden als ihre Väter.

Das Verhalten der MILZ kann nicht verstanden werden, ohne ihr Verhältnis zu den FILZ (Frauen in linken Zusammenhängen) zu betrachten. Tatsächlich finden wir sehr häufig MILZ und FILZ in denselben Projekten und Aufenthaltsorten, obwohl dies nach einschlägigigen feministischen Theorien eigentlich gar nicht möglich ist. In der Praxis ist häufig ein rhythmisches Zwei-Phasen-Schwanken zu beobachten: Phasen, in denen die FILZ gern so tun, wie wenn sie eigentlich gar nicht richtig da wären, wechseln beständig mit Phasen, in denen die FILZ vehement darauf bestehen, daß sie doch da sind – worauf sich alle darauf einigen, daß es im Prinzip ja auch unmöglich ist, man aber zusammenbleibt, bis alle das Projekt ihres Lebens gefunden haben.

Das Zusammenleben von MILZ und FILZ stellt somit eines der großen ungelösten Rätsel unserer Zeit dar. Vermutlich spielt der Sexual- und Geselligkeitstrieb dafür eine häufig unterschätzte Rolle. Wenn es auch wahr ist, daß viele MILZ ihre sexuellen Beziehungen und Lebensgemeinschaften nicht mit FILZ haben, sondern mit MALZ und FALZ (Männer und Frauen außerhalb linker Zusammenhänge), so finden doch Beziehungen von längerfristigem Interesse zumindest innerhalb der WIESE statt (Wesen im erweiterten Emanzipationszusammenhang), ob nun mit oder ohne explizit linkem Kontext. Politische Erklärungen dafür können nicht überzeugen – zwar sind Projekte ohne FILZ meist politisch eine traurige Sache, wir können aber nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß die MILZ politische Qualitäten über ihre männliche Bequemlichkeit stellen, die durch die FILZ immer wieder empfindlich gestört wird. Ernst zu nehmender sind Erklärungsansätze, die auf den ungestillten männlichen Pioniergeist der MILZ abstellen. Seit Mondbesiedlung und sozialistische Revolution weggefallen sind, ist das Zusammenleben mit den FILZ eines der letzten großen männlichen Abenteuer unserer Zeit.

Stammesgeschichtlich kann inzwischen als gesichert gelten, daß die MILZ schlicht vom Gemeinen MIMZ abstammen (Männer in Männerzusammenhängen), der mit seinen muskulösen Theorien und rohen Umgangsformen die weiten Ebenen der patriarchalen Jungsteinzeit bis in die 70er Jahre beherrschte. Mutationen durch hartnäckige feministische Bestrahlung, der Wegfall von bezahlten Futterplätzen und das Wahlverhalten der FILZ brachten dann den MILZ hervor, der unscheinbarer aussieht, aber sehr viel länger ohne volle patriarchale Anerkennung überleben kann. Diese Überlebensfähigkeit in einer komplizierter gewordenen Umwelt ist das eigentliche Geheimnis des MILZ und wird häufig unterschätzt.

Im Unterschied zum Gemeinen MIMZ zeichnet sich der MILZ durch eine höhere emotionale Labilität aus; eine gewisse verbale Hyperaktivität; den Hang zur patriarchalen Romantik; das zwanghafte Ausscheiden von Papieren, das ihm eine gewisse Erleichterung zu verschaffen scheint sowie das Schwanken zwischen Ohnmacht und Größenwahn, zwischen patriarchalen Nichterfüllungsdepressionen und mitreißender Selbstüberschätzung.

Die politische und persönliche Habitatgemeinschaft mit den FILZ unterscheidet den Echten MILZ von den sogenannten Schein-MILZen, die auch als MOVI (Männer ohne veränderndes Interesse) bezeichnet werden. Zu den Schein-MILZen gehört zum Beispiel die in autonomen Zusammenhängen häufige Spezies, die sich gern öffentlich geißelt und mehrmals monatlich rituell dafür entschuldigt, daß es sie überhaupt gibt (der Knirsch-MILZ). Das linksradikale Spektrum ist die Heimat des Knigge-MILZ, der sich einen starren Verhaltenskodex antrainiert hat, große I's und quotierte Redelisten liebt und sich ansonsten nicht erklären kann, warum die FILZ nicht zu Hauf in seine politischen Zusammenhänge strömen.

Relativ frisch auf den Plan getreten ist der Queer-MILZ, der sich in erschöpfender Ausführlichkeit stundenlang selbst dekonstruiert („Ich? Ein Mann? Wieso?“) Trotz negativster Prognosen stehen wir schließlich staunend vor dem Überleben des Klassen- MILZ, für den Patriarchat immer noch Ablenkung vom Klassenkampf und Nebenwiderspruch ist. Im politischen Alltag ist es um diese Spezies stiller geworden; es gibt jedoch abgeschottete Kleinhabitate (Marxismus-Kongresse, sozialrevolutionäre Zirkel), wo sich die Klassen-MILZ zu Hunderten auf engstem Raum tummeln.

Die FILZ unterscheiden das weniger differenziert. Sie zeigen uns genüßlich Tierfilme, um zu beweisen, daß sich an den zentralen Features des Gemeinen MIMZ (fehlender Brutpflegeinstinkt, aggressives Sexualverhalten, irrationale Brunftkämpfe und einseitige Umweltwahrnahme) vom Lurch bis zum MILZ wenig geändert habe. Den FILZ kann man es auch nicht recht machen. Immer, wenn wir uns auf ein bislang von uns vernachlässigtes Gebiet stürzen und Kinder in bunten Tragetüchern herumschleppen, mit roter Farbe Beziehungsabende in den Kalender eintragen oder in unsere Artikel Textbausteine einsetzen („Wie viele feministische Kritikerinnen finde auch ich ...“), hängen die FILZ wieder an der Decke. Wo wir doch tief verinnerlicht haben, daß ein Mann keine halben Sachen macht und damit dann aber auch nicht hinterm Berg hält. Immer, wenn wir uns demonstrativ vom Jäger-, Ernährer- und Krieger- Image befreien wollen, demaskieren die FILZ, daß wir uns vermutlich bloß drücken wollen.

Jedenfalls ist es mit den FILZ auch nicht einfach. Sie sind immer ein bißchen woanders als wir. Sie reißen sich nicht drum, sich mit Aufgaben zu überladen; sie können nicht arbeiten, wenn das Büro unaufgeräumt ist; sie sind mit dem Denken nicht fertig, wenn wir Sitzung haben; sie wollen Schokoladensoße und Pudding auf getrennten Tellern. Die FILZ haben auch ein völlig anderes Verhältnis dazu, wenn es darum geht, den Wagen der Geschichte zu fahren. Die FILZ steigen nicht ein und setzen sich ans Steuer; sie neigen dazu, sich auf den Beifahrersitz zu setzen und zu sagen, der Fahrer macht ja sowieso, was er will. So sind wir natürlich nicht. Wir nehmen das Steuer und fahren los, auch wenn wir keine Ahnung haben, wo es eigentlich hingehen soll. Die FILZ sehen dann gelangweilt aus dem Fenster und sagen: Mann, da waren wir doch vorhin schon!

Seit wir die FILZ kennen, können wir auch nicht mehr so einfach sagen, was wir wollen. Das müssen wir wohl als Fortschritt begreifen. Wir stochern in unserem Leben herum und suchen nach etwas Neuem. Unter dem immerwachen Mißtrauen der FILZ holen wir feministische Lektüre nach und setzen uns in die Nesseln, weil wir auch zwischen Echten FILZ und Schein-FILZen unterscheiden, was uns einerseits nicht zusteht, andererseits aber unvermeidlich ist.

Wir haben uns von der Objektivität und vom Fortschrittsdenken verabschiedet und wissen inzwischen aus persönlicher Erfahrung, daß Reproduktionsarbeit nicht durch Vergesellschaftung verschwindet. Wir führen lange Palaver im Auto, in denen die FILZ sagen, seit Jahrtausenden hätten wir das Auto gefahren und was dabei herausgekommen sei, und wir sagen, ihr wart doch auch dabei.