Geschwisterszenen

Haben Lesben und Schwule etwas gemein?  ■ Von Jan Feddersen

Prickelnd klang das Thema schon mal nicht. Eher wie die Überschrift der Tischvorlage für eine grüne Strategiekonferenz zur Bewältigung des Patriarchats als solchem: „Chancen und Grenzen lesbisch-schwuler Bündnisse“. Erst der Titel des Buches, das voriges Jahr auf den Markt gekommen ist, läßt etwas ahnen von der Nervosität in einer Beziehung, die in der (Hetero-)Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird: „Freundschaft unter Vorbehalt“ beschreibt das Spannungsverhältnis zwischen Lesben und Schwulen. Die AutorInnen erhellen einen durchaus kränklichen Zustand: daß nämlich homosexuelle Männer und Frauen sich meist nichts zu sagen haben.

Und worüber sollten sie schon reden? Sind wir etwa nicht Geschwister, die sich gegen die Eltern durchsetzen müssen – in diesem Fall ihre heterosexuelle Umwelt? Geschwister aber tun sich, wie man weiß, oft eher schwer mit dem Gespräch: Mal ist die Distanz zu klein, mal zu groß. Steht also das Homobündnis im Heterohaushalt unter Vorbehalt – bestimmt von der Konkurrenz um die Gunst von Mama und Papa?

Schwul zu sein war frustrierend – anfänglich zumindest. Was zur Folge hatte, daraus nicht nur das Beste machen zu wollen, sondern sich auch nicht mehr die Butter vom Brot nehmen zu lassen: Wir sind zwar Männer, aber solche der anderen Art. Und dann kamen die Lesben, mit denen wir doch wie geschundene Kinder in der großen Familie Lobbyismus betreiben wollten. Die sagten gemeine Dinge. Daß im Grunde Schwule auch Männer seien, also Schweine.

Dabei wollten wir von ihnen doch gar nichts, was sie nicht wollten: Sex. Weder hatten wir Vergewaltigung im Sinn, noch Penetration an sich. Was gab's da noch zu meckern? Und waren wir nicht die leibhaftige Kritik am Patriarchat?

Rätselhafte Lesben. Aber okay, wir hatten Verständnis, wir waren ja als Männer auch nicht gerade die Offenbarung. Trugen Kleider und probierten Strapse aus. Sie merkten nur an, daß wir mit diesen Insignien der Mackerwelt die Frauenverachtung höchstens auf die (Pömps-)Spitze treiben. So verstanden wir nichts mehr von unseren Schwestern.

Gekränkt stellten wir fest, daß sie nicht aussahen wie Frauen, nichts hatten von dem, was wir an unseren Müttern schön gefunden hätten, eine damenhafte, elegante, beherrschte und von einer großen Zigarettenspitze gekrönte Ausstrahlung. Statt dessen trugen sie schlabbrige Unterhemden mit scheußlichen Farben (Batik!), wuschen sie nie, fanden das auch noch klasse („Gegen bürgerliche Reinlichkeit“) und wollten mit uns nichts zu tun haben.

Sie veranstalteten Pfingsttreffen, hielten sich nicht lange mit Politik auf, muhten den Mond an und wurden immer sensibler. Uns hielten sie vor, mit der Vorliebe für Triebabfuhr auf öffentlichen Bedürfnisanstalten, in Saunen und botanischen Gärten einer rohen, sozusagen vormenschlichen Form der Sexualität anzuhängen. Mit anderen Worten: Sie waren unsere Schwestern, die uns ein sehr schlechtes Gewissen machten, weil wir überhaupt da waren.

Später erst wurde uns klar, daß sie nur neidisch waren – auf uns. Daß wir uns roh im patriarchalen Unterholz zu bewegen lernten, daß wir aus unserer Unterdrückung wenigstens eine gute Show zu machen verstanden und dabei einfach ihre Ideen klauten, man denke nur an „Homolulu“ – wo der Mond auch uns erhörte.

So waren wir, Schwule und Lesben, neidisch aufeinander, wie es sich erfahrene Eltern nicht hätten besser wünschen können. Die werden sich nie einig werden! Wurden wir auch nicht, der Zank ging weiter. Wir hätten es wunderbar gefunden, wenn auch Lesben an Stonewall-Demos teilgenommen hätten, damals, Anfang der Achtziger. Und was antworteten sie: Wir wollen keine Anhängsel sein. Undankbare Ziegen! Jahrelang medial unbeachtet um Identität ringend und dann doch wie Diven bevorzugt plaziert werden wollen!

Nichts als Abgrenzung. War es etwa unsere Schuld, daß wir wenigstens Prominente wie Rosa von Praunheim als Aushängeschilder hatten? Während ihr heimliches Idol als Chefredakteurin eines feministischen Zentralorgans nicht als Lesbe erkennbar sein wollte – sondern lieber ihre sexuelle Orientierung im Privaten hielt?

Kürzlich erzählte mir eine lesbische Freundin, daß Mitte der achtziger Jahre viele Lesben vor Mißgunst fast platzten – weil die Schwulen mit Aids um Mitgefühl buhlend in jeder Talkshow vorgezeigt wurden. Und ich erinnerte mich an die Aussage einer Lesbe, daß Aids nur der Ausdruck der entfremdeten Sexualität schwuler Männer sei. Gegen den Strich gelesen hieß das doch: Strafe muß sein!

Unsere Eltern waren vermutlich sehr zufrieden mit ihrer Erziehung. Man ging sich also aus dem Weg. (Heimlich, hörte ich, pflegten Lesben und Schwule Freundschaft. In ihnen ging es um die realen Dinge. Um Liebeskummer. Mißgunst. Eifersucht. Verliebtheiten. Körpergefühle. Schmutzige Witze. Tratsch aus der Familie.)

Endloser Geschwisterstreit. Doch jetzt nicht nur um Grundsätzliches, sondern um die Verteilung der Mittel aus den Fleischtöpfen. Wer bekommt welches Projekt vom Staat zugeschustert? Wer darf welche ABM-Stelle besetzen? Quotiert? Geteilt?

Eine neue Generation hat inzwischen die Ruder übernommen, heißt es. Meine Freundschaft mit Silke, einer Lady von frivolstem Format, begann, als wir uns gegenseitig beichteten, daß wir unsere jeweiligen Szenen im Grunde nicht ausstehen können. Daß bei Lesbens ebensoviel Schmutz unter den Teppich gekehrt wird wie bei Schwulen. Daß beide Milieus provinziell und borniert sind und eifersüchtelnd auf Reinheit der Lehre achten, als sei man bei den ZeugInnen Jehovas.

Daß die Hälfte des Homohimmels den Lesben zusteht, ist sowieso klar. Wir können uns vorschwärmen, wen man attraktiv findet und wen nicht. Daß Heterofrauen und Heteromänner eigentlich begehrenswerter sind als Lesben und Schwule. Wie sagte Silke doch kürzlich: „Als gewöhnliche Hausfrau hat man's doch schwer, über die Runden zu kommen.“

Wollte sagen: Die meisten Dinge, die Schwule und Lesben über die jeweils anderen behaupten, sind Klischees. Männliche Homos sind weniger schwanzgierig, als frau gemeinhin glaubt; weibliche Homos weniger beziehungstreu, als man so denkt.

Lesben sind nicht nur Bilitis und fahren nicht nur Motorräder; Schwule gucken nicht immer auf anderer Menschen Glieder, sondern, frau glaubt es kaum, auch in die Augen. Und Lesben sind keine Tanten, denen es an Humor fehlt, wenn es um die Untiefen der Geschlechterfragen geht.

Und was auch wahr ist: Für Schwule scheint es nach dem Coming-out schwer, in Lesben mehr zu sehen als verkappte Mütter, um deren Anerkennung man verzweifelt buhlt. Und Lesben scheinen nur schwer begreifen zu können, daß scheinbar frauenfeindliche Witze von Schwulen nur tussenfeindlich sind – und wir ansonsten das Spiel mit den Geschlechtsrollen zwar anstrengend finden, aber auch lieben. Außerdem sind wir keine großen Brüder, die ihren kleinen Schwestern den Weg weisen, jedenfalls bemühen wir uns, das so zu sehen.

Freundschaft unter Vorbehalt – Chancen und Grenzen lesbisch-schwuler Bündnisse, Hrsg. von Stefan Etgeton und Sabine Hark, 212 S., Querverlag,Berlin 1997, 29,80 Mark.