Wagen und winnen

■ Buch über Bremens erste Akademikerinnen

Eine Rechts-Referendarin bei einer Leichenöffnung zusehen zu lassen– das war für Dr. Magnus Dunkel, Vormundschaftsrichter am Bremer Amtsgericht, offenbar undenkbar. „Sie ist mit allen für die Abteilung einschlägigen Arbeiten vertraut gemacht worden, nur habe ich Frl. Bulling nicht zu einer Leichenöffnung herangezogen“, schrieb er am 8. Juli 1926 in die Beurteilung von Emmalene Bulling.

„Buten un Binnen, wagen und winnen“von Eva Schöck-Quinteros – heißt ein kürzlich erschienenes Buch über die „ersten Bremerinnen auf dem Weg ins akademische Leben“. Emmalene Bulling (1900 bis 1959) gehörte zu den Bremerinnen, die sich Anfang des Jahrhunderts daran machten, eine Männerdomäne zu erobern. 1929 wurde sie als erste Frau in Bremen als Anwältin zugelassen. Eine ihrer Mitstreiterinnen war Dr. Anna Stemmermann, (1874 bis 1928), die sich 1907 als erste Ärztin in Bremen niederließ.

Um Ärztin zu werden, mußte Anna Stemmermann einen damals üblichen Umweg gehen. Nach dem Besuch der höheren Töchterschule wurde sie Lehrerin. 1896 bestanden die ersten Mädchen in Berlin das Abitur. Zuvor hatten sie sich in Gymnasialkursen bei Helene Lange auf die Reifeprüfung vorbereitet. Nachdem zahlreiche Petitionen an das preußische Abgeordnetenhaus mit der Bitte, auch Mädchen eine höhere Bildung zu ermöglichen, gescheitert waren, griffen die Frauen damals zur Selbsthilfe und gründeten Realgymnasialkurse.

Kurz entschlossen ging Anna Stemmermann nach Berlin, um sich dort auf das Abitur vorzubereiten. Das erste Mädchengymnasium in Bremen wurde erst 1916 gegründet. Deshalb machte Anna Stemmermann 1899 das Abitur noch unter Männern.

Zehn Tage nach dem sie die Reifeprüfung bestanden hatte, beschloß der Bundesrat, Frauen zum Staatsexamen für Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie zuzulassen. Frauen mußten sich allerdings mit dem Status von Gasthörerinnen zufrieden geben. Erst 1900 gewährte Baden den Frauen als erstes Land im Deutschen Reich das volle Immatrikulationsrecht. 1908 folgte Preußen als letztes Land. Im Sommersemester 1899 schrieb Anna Stemmermann sich an der Universität Göttingen für das Fach Medizin ein. Doch die Ärzteschaft weigerte sich, weibliche Mediziner anzuerkennen. Auf dem 26. Ärztetag forderte ein Redner, Frauen sollten Erzieherinnnen und Lehrerinnen bleiben, denn nur „dann wird auch im kommenden Jahrhundert ein Bild nicht verwischt werden, daß wir als Jünglinge besungen haben, als Männer lieben und verehren: Das Bild der echten deutschen Frau.“Die Studentinnnen mußten vor jedem Seminar bei den Professoren darum bitten, überhaupt an den Lehrveranstaltungen teilnehmen zu dürfen.

Außerdem war das Abitur für Mädchen damals mit erheblichen Kosten verbunden, so daß die Zugangsvoraussetzung fürs Studium vielen Mädchen verwehrt blieb. Emmalene Bulling, die erste Anwältin Bremens, hatte in ihrer Schulzeit bis zum Abitur 1920 nur zwei Mitschülerinnen. Sie hatte es als Jura-Studentin schon um einiges leichter als die Medizin-Studentin Anna Stemmermann. Doch trotz „guter juristischer Begabung“und „guter Rechtskenntnisse“trauten die männlichen Ausbilder ihr höchstens „eine leitende Stelle in der Fürsoge oder ähnlicher Tätigkeit zu“. Die Juristin wurde 1929 als erste Anwältin in Bremen zugelassen. 1952 wurde sie Vormundschaftsrichterin und trat in die Fußstapfen ihres Ausbilders Dunkel, der sie am Anfang ihrer Ausbildung vor der Leichenöffnung bewahren wollte. kes