: Siemens-Arbeiter fürchten um ihre Habe
■ Der Münchener Konzern will Unternehmensteile ausgliedern, um Kosten zu sparen / In Bremen bis zu 500 der 928 Mitarbeiter betroffen: Anderer Tarif bedeutet Einbußen bis 3.000 Mark
Bei den Beschäftigten der Siemens AG rumort es heftig. So eine emotionale Betriebsversammlung wie am Donnerstag habe er bei der Außenstelle des Münchener Konzerns in den fünf Jahren als Bremer IG-Metall-Sekretär noch nicht erlebt, meint Peter Ströbel. „Für die Siemensianer stürzt ein Weltbild zusammen.“Der Grund für die Aufregung bei den 928 Mitarbeitern in Bremen: Einzelne Unternehmensteile der „technischen Dienstleistungen“sollen ausgegliedert werden. Die betroffenen 500 Mitarbeiter sollen einen neuen Tarifvertrag bekommen, über den derzeit verhandelt wird.
Nach der bislang von der Unternehmensleitung vorgeschlagenen Variante, rechnet die Mitarbeitervertretung vor, würde dies Einkommenseinbußen zwischen 400 und 3000 Mark für die ausgegliederten Mitarbeiter bedeuteuten – pro Monat. Falls der neue Tarifvertrag kommt, so die Befürchtung, sei dann auch der derzeit gültige Flächentarifvertrag gefährdet. Zwei Abmachungen könnten in Zukunft nebeneinander stehen. Der alte „Industrietarif Unterweser“würde nur noch für einen Teil der Mitarbeiter gelten, mehr als die Hälfte der Mitarbeiter würde nach Vorbild des Tarifvertrags Handwerk in Bayern bezahlt, den die Konzernführung als Vorbild ins Spiel brachten.
Sollte es Siemens schaffen, die Beschäftigten nach Bezahlung und Arbeitszeit zu spalten, so könnten andere Großbetriebe nachziehen, befürchtet auch Jörg Pupat, der Betriebsratsvorsitzende der Bremer Niederlassung. „Dann bekommen wir einen Flächenbrand.“Siemens sei groß und wichtig genug, um als Vorbild für die gesamte Branche zu gelten.
In ganz Deutschland sind Ausgliederungen bei Siemens geplant. Bundesweit könnten bis zu 30.000 Beschäftigte von der Neuordnung betroffen sein, meint die Gewerkschaft – eine Zahl, die von Siemens so nicht bestätigt wird. In den letzten fünf Jahren seien bereits 40.000 Mitarbeiter von den Lohnlisten des Konzerns in Deutschland verschwunden.
Ein Trend, den IG Metall-Sekretär Stutz nicht einfach so hinnehmen will. "Siemens ist reich genug, um andere Lösungen für die Mitarbeiter zu finden“meint er. Im letzten Geschäftsjahr erzielte das Unternehmen einen satten Gewinn von 2,6 Milliarden Mark. „Siemens geht es gut“, so Stutz. Betriebsratsvorsitzender Pupat: „Das Aktionärsrisiko soll auf die Mitarbeiter abgewälzt werden.“
„Einige Bereiche im Dienstleistungsgeschäft sind nicht mehr wettbewerbsfähig“, begründet Siemens-Sprecher Martin Siebert die geplanten Ausgliederungen und die Lohn- und Einkommenssenkungen. Das betrifft vor allem Firmenteile, in denen mittelständische Unternehmen dem großen Konkurrenten Paroli bieten können. Die derzeit laufenden Tarifverhandlungen betreffen Mitarbeiter der Gebäudetechnik, des Gebäudemanagements und der Montage von Telefonanlagen. Wie hoch die Gehaltseinbußen letztlich sein werden, darüber sei noch nicht das letzte Wort gesprochen worden, versucht er, den Konflikt zu entschärfen. 20 Prozent Personalkosten sollen eingespart werden.
Die IG Metall will jetzt einen erheblichen „Widerstandswillen“in der Belegschaft entdeckt haben. Jahrelang galt ein Job bei Siemens als krisensicher, die Mitarbeiter wurden oft über Tarif bezahlt. Außerdem kamen sie in den Genuß von Vergünstigungen wie Erfolgsbeteiligungen und geringen Arbeitszeiten. Dementsprechend wenig Mitarbeiter sind in der Gewerkschaft organisiert.
Am 17. März wollen Arbeitgeber und Mitarbeitervertreter zur fünften Runde der Tarifverhandlungen zusammenkommen. Tatsächlich signalisierte die Gewerkschaft Verhandlungsbereitschaft im Einzelfall. Ein Ultimatum, das die Konzernleitung ausgesprochen haben soll, will man aber nicht so hinnehmen. Demnach sollen Firmen geschlossen und Teile endgültig ausgegliedert werden, wenn es bis zum 17. April nicht zu einer Einigung über neue Löhne und Gehälter kommt. Über bundesweite Protestaktionen werde bereits geredet, so IG-Metall-Sekretär Peter Stutz. Christoph Dowe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen