Bisexualität ist gar nichts Böses

■ Film für Film trennt sich das ZDF von überkommener Sexualmoral. Heute: Sex mit zwei Geschlechtern („Leben in Angst“, So., 20.15 Uhr)

„Bisexuelle sind halt unkonventioneller“, könnte man gleich zu Beginn des Filmes einwerfen, so man da schon wüßte, daß Dr. Johannes Steinberg bisexuell ist. Aber man weiß nur, daß sich Steinberg, Familienvater und Arzt am Berliner Sankt-Hedwig-Krankenhaus, auch schon mal über Formalitäten hinwegzusetzen weiß – wenn gerade einmal Not am Mann ist.

Doch daß Steinberg, der derart beherzt den Dienstweg verkürzt, ab und an den Heimweg verlängert – ebenfalls aus Not am Mann sozusagen –, das erscheint zunächst ebenso abwegig wie jener Erpresserbrief, den er eines Tages in seinen Händen hält. Schließlich ist Steinberg ein guter Vater, guter Ehemann, guter Kollege – genau wie ihn Ulrich Pleitgen auch im ARD-Vorabendglanzlicht „Nicht von schlechten Eltern“ gibt. So ein Sympath darf doch gar nicht erpreßbar sein, und Bisexualität ist folglich keinesfalls etwas Böses. Na so was.

Wegbereitung und Provokation in Sachen Liberalisierung überkommener Sexualmoralvorstellungen hat das ZDF zwar „Tutti Frutti“, „Arabella“ und „Lindenstraße“ überlassen, dennoch wissen die Mainzer den thematischen Landgewinn mit feinsinnigen Fernsehfilmen zu bestellen. Kürzlich erst nahm sich das ZDF mit „Die Konkurrentin“ der lesbischen Liebe an, und man könnte rätseln, welche sexuelle Unkonventionalität die Mainzer denn wohl demnächst aus dem „liebe sünde“-Tümpel fischen.

Zuerst einmal wird man aber gebannt auf Dagmar Dameks Zweiteiler starren und sich fragen, warum die Steinbergs denn nicht längst ein klärendes Gespräch geführt haben. Doch ach, da fragt's ihn seine Frau schon selbst – und Steinberg wechselt das Thema. Deshalb also.

Der ganze Film funktioniert so. Der Holzhammer blieb in der Asservatenkammer; Charaktere und Beziehungsgeflechte erschließen sich diskursiv. Und es zeugt mitnichten von Einfallslosigkeit, wenn die endlich geführte Aussprache tatsächlich in Platitüden mündet. Immer wieder schweift Axel Plogstedts Drehbuch in Nebenhandlungen ab. Erstens, weil die zweimal 90 Sendeminuten so nur von wenigen Längen verunstaltet werden, und zweitens, weil all die Seitensprünge des Plots seiner Dramaturgie zuspielen. Und wenn sich dann Vater und Sohn plötzlich auf dem Schwulenstrich im Park begegnen, ist das so absurd und zwangsläufig zugleich wie Steinbergs anschließender Infarkt.

Derlei ist zweifellos gut gemeint – und gleichzeitig Beweis, daß das nichts Schlechtes sein muß. Christoph Schultheis

(Teil 2: Montag, 20.15 Uhr, ZDF)